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Havelwasser (German Edition)

Havelwasser (German Edition)

Titel: Havelwasser (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Wiersch
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schon auf dem Weg ins Arbeitszimmer war und dort bereits den dicken Band eines langen Kommentars zum Erbrecht herauszog.
    „Du auch?“, fragte er Herbert, als der hinter sich die Tür schloss.
    „Natürlich.“
    Manzetti nahm die hinter dem Erbrechtband versteckten Gläser und die Grappaflasche heraus und goss ein, bevor er den Band wieder ins Regal stellte.
    „Was machen deine Werte?“
    Herbert wiegte seinen Kopf hin und her. „Könnten besser sein. Aber der Zucker ist in Ordnung, und Cholesterin ist kein Thema mehr.“ Nach einer kurzen Pause reckte er den Kopf freundlich drohend in Richtung seines Grappaglases, das Manzetti immer noch in der Hand hielt. „Du wirst doch nicht?“
    „Nein, nein“, sagte Manzetti schnell und reichte Herbert das gefüllte Glas.
    Sie ließen sich auf das schwere Ledersofa fallen, und Manzetti begann, Herbert auf den aktuellen Stand der Ermittlungen zu bringen. Der Richter unterbrach nicht ein einziges Mal, und lediglich ein kurzes Blitzen in seinen Augen verriet, wenn er sich im Geiste Notizen machte oder Fragen stellte. Erst nach Manzettis letzten Worten trank er einen Schluck des duftenden Grappa.
    Während der folgenden Momente des Schweigens sah Herbert auf Manzetti, als sähe er ihn zum ersten Mal. Er musterte ihn durchdringend. Was mochte er empfinden? Neid auf sein erfülltes Berufsleben, das ihm nun verwehrt blieb? Fühlte er sich auch deshalb wie Miss Marple, die von den offiziellen polizeilichen Ermittlungen immer ausgeschlossen war?
    „Du bist wirklich ein Glückspilz“, sagte Herbert.
    „Wie bitte?“, fragte Manzetti verdutzt.
    „Du bist ein Glückspilz, und dein Gegenspieler begeistert mich märchenhaft.“ Um Herberts Mund legte sich ein Lächeln, das auch Wahnsinnigen zugeschrieben werden könnte.
    „Herbert?“, fragte Manzetti besorgt. „Ist alles in Ordnung mit dir?“
    Der Richter trank sein Glas leer und ließ es dann wie den rotierenden Aufsatz einer Spieluhr zwischen den Fingern kreisen.
    „Mit mir ist alles in Ordnung, mein Lieber. Mach dir bitte um mich keine Sorgen. Wirklich nicht. Aber weißt du, ich habe mir die Pensionszeit ganz anders vorgestellt, oder besser, ich habe mir eigentlich überhaupt keine Gedanken darüber gemacht, und nun sitze ich jeden Tag gelangweilt herum und beschneide die Blumen, die Irene zuvor markiert hat. Wirklich toll, oder? Ich habe Angst um mein Gehirn. Ich fürchte nämlich, dass es austrocknet und nicht mehr zu gebrauchen sein wird. So bleibt mir und leider auch meiner lieben Frau nur zu lernen, mit dieser neuen Situation umzugehen. Glaub mir, Junge, das ist alles andere als einfach.“
    Manzetti hob ganz leicht die Brauen. „Herbert, wie können wir dich dabei unterstützen?“
    „Helfen, meinst du?“ Herbert legte seine linke Hand beschwichtigend auf Manzettis Oberschenkel. „Das ist lieb gemeint, aber ihr könnt uns dabei nicht helfen. Ihr müsst euer eigenes Leben führen, und wenn ihr uns von Zeit zu Zeit daran teilhaben lasst, dann ist es Hilfe genug. Trotzdem danke, Andrea.“
    Manzetti nahm die Flasche und füllte beide Gläser bis fast zum Rand nach. „Und meine Ermittlungen? Soll ich dich damit …“
    „Um Gottes willen“, stoppte Herbert Manzettis Gedanken. „Lass mich ja bei deinen Ermittlungen mitmischen. Das ist meine einzige Verbindung zur Außenwelt, wenn ich von den Einladungen zu langweiligen Vorträgen einmal absehe.“
    „Na gut. Dann lass uns die Dinge auseinandernehmen. Wir haben bislang also zwei Tote, beide mit Kehlschnitt, beide mit teuren Schuhen, in denen Elfenbeinpulver versteckt war, und beide trugen griechische Euromünzen auf den Augen … Wenn ich mich nicht täusche, dann legte man die Münzen als Belohnung für den Fährmann zum Hades den Toten bei, oder? Außerdem wurden beide als Kinderschänder bezeichnet.“
    Begierig und hochkonzentriert lauschte Herbert, stand dann aber plötzlich auf und trat vor das riesige Bücherregal. Er fühlte sich längst nicht mehr wie ein Vogel mit beschnittenen Flügeln, er fühlte sich wie ein Adler mit weiten Schwingen und scharfem Blick.
    Herbert Jahn zog eines seiner Speziallexika heraus und blätterte zielgerichtet darin, bis er die gesuchte Stelle gefunden hatte und seine Augen hinter der Lesebrille Zeile um Zeile abtasteten. „Dachte ich mir’s doch.“
    „Was?“ Manzetti sah seinen Patenonkel fragend an.
    „Die Münzen. Da stimmt etwas nicht, denn ich glaube, dass sie nicht auf den Augen lagen, sondern unter der Zunge.“

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