Havoc
brutalen Empfangs, den er ihnen bereitet hatte, glaubte Kady nicht, dass Jan so weit gehen würde, sie umzubringen. Sie war sich sicher, dass sie ihn irgendwie davon überzeugen konnte, dass es für alle die beste Lösung war, wenn er ihnen erlaubte, bei Havoc mitzumachen. Abgesehen davon hatte sie tatsächlich kein Interesse daran, wieder Anführerin von Havoc zu werden.
Aber Kady sollte nie erfahren, wie Jan sich entschieden hätte, weil in diesem Moment die Tür aufgestoßen wurde und eine hünenhafte Gestalt in den Vorraum der Zelle trat.
Es war ein Junge, der höchstens sechzehn oder siebzehn Jahre alt sein konnte, aber über zwei Meter groß war und aussah wie eine menschliche Kampfmaschine. Er war schwarz, hatte die Haare zu dicht am Kopf anliegenden Zöpfen geflochten und seine Miene verhieß nichts Gutes.
»Was soll die Scheiße?«, knurrte er Parker an, der an der Tür stand.
Justin erkannte sofort den vertrauten Londoner Akzent und rief glücklich: »Hey, ein Kumpel aus dem East End! Komm an mein Herz, Bruder.«
Der Typ wandte sich wütend an Jan. »Kann mir mal jemand sagen, warum Kady hier eingesperrt ist?«
Jan und seine Schlägertypen sahen sich unbehaglich an. »Wir wissen nicht, wo sie gewese n …«
»Seid ihr noch zu retten? Das ist Kady! «, brüllte der Hüne. »Sie hat Havoc quasi aufgebaut! Wenn sie nicht gewesen wäre, wäre jetzt keiner von uns hie r! «
»Verzieh dich, Dylan, du kannst hier nicht einfac h …«
Aber Dylan hörte gar nicht zu. Er nahm Parker kurzerhand den Schlüssel ab, schloss die Gittertür auf und bedeutete den beiden Gefangenen mit einem Wink herauszukommen. »Na los, raus mit euch.«
Parker griff nach seinem Arm. »Hey, wer hat dir das erlaubt?«
Dylan fuhr herum, packte ihn am T-Shirt und drückte ihn gegen die Wand. »Fass mich nicht an, du Wicht!«, zischte er und hielt ihm seine mächtige Pranke unter die Nase. Dann sah er sich um. »Sonst noch jemand, der Lust hat, sich mit mir anzulegen?«
Keiner sagte etwas. »Dachte ich mir schon«, knurrte Dylan und ließ Parker wieder los.
Jan und seine Jungs wichen zurück, als Kady und Justin aus der winzigen Zelle traten. Justin konnte sich ein Grinsen nicht verkneifen und tippte sich frech an die Stirn, als er sich an ihnen vorbeischob. »Man sieht sich.«
Als sich die Tür hinter ihnen schloss, konnten sie Jan und seine Kumpels leise fluchen hören.
2
Die Krankenstation war nicht viel größer als das Gefängnis, hatte dafür aber eine interessante Besonderheit aufzuweisen. In eine Wand war ein rautenförmiges Fenster eingelassen, hinter dem absolute Dunkelheit herrschte. Aber inmitten dieser Schwärze schwebten geheimnisvolle helle Lichter.
In der Ferne dümpelten runde weiße Lichtkugeln wie schwebende Glühbirnen. Gelegentlich huschten rot glühende Blitze durch das Dunkel, die an Meteoriten erinnerten. Pulsierende, blinkende Lichtpünktchen schwammen am Fenster vorbei ebenso wie leuchtend gemusterte gelbe und grüne Gebilde, die für einen Moment aufflammten und dann zu schmelzen schienen, nur um kurz darauf an einer anderen Stelle wieder aufzublitzen.
»Das sind die Fische des Sees«, sagte Scotty, der die Wunden in Justins Gesicht mit einem Wattebausch reinigte und Salbe auftrug. »Das Ganze hier war früher mal eine Beobachtungsstation für Tiefseefische. Keine Ahnung, wo die Wissenschaftler hin sind, die hier mal geforscht haben. Als wir die Station entdeckt haben, war sie verlassen.«
Justin saß auf dem Untersuchungstisch und gab sich Mühe, sein Gesicht nicht allzu sehr zu verziehen, während Scotty seine Wunden versorgte. Er drückte sich einen Eisbeutel an die geschwollene Lippe. Kady stand neben den beiden und sah zu. Dylan war an der Tür stehen geblieben. Ein schweigsamer, hünenhafter Wächter.
»Wow«, sagte Kady anerkennend zu Scotty. »Du machst das wie ein Profi.«
»Ich bin hier so was wie der inoffizielle Bordarzt«, sagte Scotty. »Ich hab zu Hause fünf jüngere Brüder. Bei uns gab es ständig Prügeleien und irgendwelche Unfälle. Ich habe meine Kindheit damit verbracht, meine Brüder zu verarzten.« Ein trauriger Ausdruck huschte über sein Gesicht. »Ich vermisse die kleinen Scheißkerle.«
»Wieso fährst du dann nicht nach Hause?«, fragte Justin.
»Weil ich kein Ticket hab«, erwiderte Scotty. »An die schwarzen kommt man relativ leicht ran, aber die weißen sind echt selten. Ich bin nicht so lebensmüde, selbst nach einem zu suchen. Da, wo sie versteckt sind, kommt
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