Havoc
Katzen und Menschen, den unterschiedlichsten Bewohnern von Malice und den unheimlich aussehenden Anhängern der Laq, die sich selbst »Coven« nannten. Es waren Tausende. Viel zu viele, um sich Tall Jake unbemerkt zu nähern. Seine Späher hatten sie mit Sicherheit bereits entdeckt. Aber waren es genug, um ihn im Kampf zu besiegen? Seth ließ seinen Blick nachdenklich über die Ebene wandern.
Sie würden im Morgengrauen angreifen. Der Gedanke an die bevorstehende Schlacht jagte ihm Angst ein. Angst um sein Leben, aber vor allem um das der anderen. Was, wenn Justin starb? Oder Kady? Er würde es nicht ertragen, einen der beiden zu verlieren.
Kady hatte ihm vorgeworfen, er würde die Gefahr lieben, und wenn er ehrlich darüber nachdachte, musste er ihr sogar Recht geben. Tief in seinem Inneren hatte er sich niemals vorstellen können, dass ihm tatsächlich etwas Schlimmes zustoßen könnte. Er war immer überzeugt davon gewesen, alles überstehen zu können, wenn er nur mutig und klug handelte. Insgeheim hatte er sich wohl für unbesiegbar gehalten. Für einen wahren Helden.
Aber das hier war nicht nur ein gefährliches Abenteuer. Es war ein Krieg. Dort unten auf dem Schlachtfeld würde er keine Kontrolle über das haben, was geschah. Er würde einer von Tausenden sein und schlussendlich würde nur der Zufall darüber entscheiden, wer überlebte und wer starb.
Er fuhr herum, als er Schritte hinter sich hörte. Kady kam in Begleitung von Tatyana den Hügel hinauf. Sie sah erschöpft aus, lächelte aber, als sie ihn sah.
»Da bist du«, sagte sie. »Ich konnte nicht schlafen.«
»Kann überhaupt irgendwer schlafen?«
»Wahrscheinlich nicht.« Sie stellte sich neben Seth. Tatyana forderte ihn mit einem Nasenstupser auf, sie zu streicheln, und schnurrte behaglich, als er sie hinter dem Ohr kraulte.
Kady ließ ihren Blick über das Nebelmeer und das Haus des Todes schweifen. »Was ist da unten?«, fragte sie gedankenverloren. »Was erwartet uns?«
»Das will ich gar nicht so genau wissen«, brummte Seth.
Kady setzte sich und eine Weile saßen sie schweigend nebeneinander. Es gab so vieles, was Seth ihr gern gesagt hätte. Aber ihm fehlten einfach die Worte, um auszudrücken, was ihm wirklich auf dem Herzen lag. Deshalb schwieg er lieber.
»Sie wollen dich sehen«, sagte Kady schließlich leise.
»Wer?«
»Die Laq und die Königin der Katzen.«
»Gut.« Seth stand auf. »Dann lasse ich sie besser nicht warten.«
Kady warf ihm einen Blick zu, dem anzusehen war, dass sie ihn gern gefragt hätte, was los war, aber sie traute sich nicht.
Sag es mir, Seth. Was hast du?
Doch er wich ihrem Blick aus.
Als sie auf das Lager zugingen, sahen die Wachen der Coven sie kommen und unterhielten sich aufgeregt in ihrer Sprache, die aus Klick- und Zischlauten bestand. Bei ihrem Anblick bekam Seth eine Gänsehaut. Das erste Mal hatte er sie in der Oubliette gesehe n – zunächst nur als Statuen, die den Eingang bewachten, dann als Skelette im Tempel der Laq. Er wusste auch jetzt noch nicht, wie sie unter ihren fremdartigen, eng am Körper anliegenden Rüstungen aussahen. Die Coven hatten Beine wie Pferde und lange, schmale Köpfe, die von schwarzen Metallhelmen verhüllt waren, aus denen nur die dunklen Augen hervorglitzerten. Sie waren mit Furcht einflößenden Piken bewaffnet, deren scharfe Doppelklingen im Dämmerlicht funkelten.
Kady und Seth gingen schweigend an den Wachen vorbei durch das Lager, das aus Hunderten von Zelten errichtet worden war. Die Kämpfer saßen rings um Feuerstellen, reinigten und schärften ihre Waffen und sprachen in gedämpftem Tonfall über die bevorstehende Schlacht. Es war Kady gelungen, eine beeindruckende Zahl von Mitstreitern zu mobilisieren. Havoc bestand hauptsächlich aus Jugendlichen, aber Tall Jake hatte auch unter den erwachsenen Bürgern von Malice viele erbitterte Feinde. Tausende von ihnen waren gekommen, um endlich ihre Rechnung mit ihm zu begleichen. Es war ein bunt zusammengewürfelter Haufen, der nur mit viel Wohlwollen als Armee bezeichnet werden konnte: Mitglieder von Stämmen, die hoch oben im Gebirge lebten, Bürgerwehren aus den Dörfern, Gelehrte aus den Städten. Aber sie alle trieb ein gemeinsames Ziel an: Tall Jake zu stürzen.
Die vielen einzelnen Gruppen hatten jeweils ihre eigenen Anführer, weshalb die Gefahr bestand, dass sie sich untereinander niemals einig werden würden. Die Laq und die Königin der Katzen hatten Kady deshalb vorsorglich zu ihrer Mittlerin
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