Hawks, John Twelve - Dark River
und Wasser schoss ihr in den Mund.
Sie hatte den Beatmungsschlauch an einer der Eisenstangen durchschnitten. Nun gab es keine Luft mehr und keinen Fluchtweg. Die Taschenlampe war ihr entglitten, und Maya umgab totale Finsternis. Sie hielt das Mundstück mit den Zähnen fest, langte sich über die Schulter und tastete nach den beiden Enden des durchtrennten Luftschlauchs. Der Schlauch an ihrem Mundstück hatte sich mit Wasser gefüllt, aber aus dem Schlauchende, das mit dem Pony Tank verbunden war, sprudelten Luftblasen. Sie drückte beide Enden aneinander und umklammerte sie mit der Faust. Aus dem Mundstück drang wenig Luft, aber viel Wasser. Maya schluckte das Wasser und sog den Sauerstoff in ihre Lunge.
Beide Schlauchenden fest mit der rechten Hand umfassend, schob sie sich mit der linken rückwärts, wobei sie den kiesigen Sand unter ihren Füßen spürte. Wie eine unbeteiligte Zuschauerin, die einen Verkehrsunfall beobachtet, befreite sich ihr Verstand aus der Situation, um ruhig zu überlegen und eine Lösung zu finden. Sie konnte nichts sehen, und in etwa einer Minute wäre der Sauerstofftank leer. Ihre einzige Chance bestand darin, den Tunnel zu finden, der zum Kellerraum zurückführte.
Als ihre Füße an einer Wand anstießen, hielt sie augenblicklich inne und rollte sich dann auf die Seite. Maya versuchte, sich auf die grobkörnige Beschaffenheit der heruntergefallenen Steine zu konzentrieren. Ihr Leben war in Einzelteile aus Knochen, Blut und Muskelgewebe zerfallen.
Sie kroch Zentimeter um Zentimeter rückwärts, immer bemüht, keinen weiteren Einsturz zu verursachen. Der Lungenautomat gurgelte leise, und dann schmeckte sie etwas auf der Zunge, das sie an Asche erinnerte. Sie versuchte einzuatmen, aber ihre Lunge füllte sich nicht. Der gerissene Schlauch hatte die Druckluftflasche geleert.
Maya streckte die Arme aus und drückte sich zurück, bis ihre Zehen die Tunnelbiegung spürten. Sie blieb in Bewegung und betete, nicht an einer der Eisenspitzen hängenzubleiben. Ihr Verstand arbeitete langsamer als sonst, und sie fragte sich, ob sie kurz vor einer Ohnmacht stand.
Sekunden später fühlte sie zwei Hände an ihren Knöcheln. Mit einem energischen Ruck zog Lumbroso sie heraus.
»Was ist passiert?«, fragte er. »Ich habe gesehen, wie Sand aus dem Tunnel kam. Sind Sie verletzt? Geht es Ihnen gut?«
Maya riss sich die Maske ab, spuckte das Mundstück aus und schnappte nach Luft. Ihre Lunge brannte, und sie hatte das Gefühl, als hätte sie jemand in den Bauch geboxt. Lumbroso redete weiter auf sie ein, aber sie konnte nicht antworten. Sie hatte die Sprache verloren und nur noch einen Gedanken im Kopf: Ich lebe noch .
Die Unterwasserkamera baumelte am Plastikriemen. Maya überreichte sie Lumbroso wie ein kostbares Juwel.
Gegen acht Uhr am nächsten Morgen saß Maya als Gast in einem Straßencafé auf der Piazza San Lorenzo in Lucina. Der Platz lag weniger als hundert Meter von dem Eingang zum Gebäude entfernt, unter dem die Sonnenuhr verborgen lag. Direkt unter ihren Füßen hatte die Vergangenheit sich schichtweise angesammelt, und geheime Flüsse strömten durch die Dunkelheit.
Wenn sie die Augen schloss, konnte sie sich eingeklemmt in dem Unterwassertunnel sehen. Sie hatte jedoch nicht das Bedürfnis, noch länger an diesen Moment zu denken. Sie war am Leben und in dieser Welt. Alles um sie herum erschien ihr gewöhnlich und wunderschön zugleich. Sie berührte die glatte Oberfläche des Marmortischchens, als ein junger italienischer Kellner ihr eine Tasse Cappuccino und ein Stück Pfirsichtorte mit einem Zweig Minze brachte. Der Rand der Torte war locker und blättrig, und Maya ließ sich die süße Pfirsichfüllung auf der Zunge zergehen. Obwohl der Schwertköcher an der Lehne des schmiedeeisernen Stuhls hing, verspürte sie den verrückten Impuls, ihn einfach dort hängenzulassen und wie eine ganz normale junge Frau über den Platz zu schlendern, an Parfümproben zu schnuppern und Seidenschals anzuprobieren.
Gerade hatte sie den Kuchen aufgegessen, als Lumbroso an den Tisch trat. Er trug die übliche dunkle Kleidung und eine Ledermappe unterm Arm. »Buon giorno, Maya. Come sta? Es ist mir ein Vergnügen, Sie heute Morgen zu sehen.« Er setzte sich und bestellte einen Cappuccino.
»Letzte Woche habe ich gesehen, wie ein Tourist um fünf Uhr nachmittags einen Cappuccino bestellt hat. Wir sind hier in Roma, nicht bei Starbucks! Der Kellner war zutiefst gekränkt. In allen Restaurants
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