Hazienda der Traeume - Julia Saisonband Bd 66
überraschten Blick des Jungen eintrug.
Kico sah seinen Vater schüchtern an, stand auf und ging zögernd auf ihn zu.
Rafael saß stocksteif auf seinem Stuhl.
„Adiós, Papa.“ Kico legte ihm die Arme um den Nacken.
Unbeholfen drückte er den Jungen an sich. „Sei schön artig.“
„Ja, Papa.“
Rafael schob ihn von sich, stand auf und zog einige Geldscheine aus der Hosentasche. „Hier, falls Sie etwas brauchen.“
Julie wollte das Geld nicht annehmen. „Sie haben mir doch gestern schon Geld für die Einkäufe in Patzcuaro gegeben.“
„Nun nehmen Sie es schon. Man kann nie wissen, wann man es braucht.“ Er wollte ihr sagen, wie froh er war, sie in seinem Haus zu wissen. In der vergangenen Nacht war sie ebenso besorgt um Kico gewesen wie er selbst. Automatisch war sie zu dem Jungen gelaufen, um sich um ihn zu kümmern. Das wäre Margarita nicht im Traum eingefallen. Sie hätte eine der Angestellten geschickt, um nach dem Rechten zu sehen.
Julie war ganz anders. Kicos Wohl lag ihr wirklich am Herzen. Sie war sehr weiblich, und ihre Anwesenheit war ihm nur zu bewusst. Er musste sich sehr zusammenreißen, um ihr sein Verlangen nicht zu zeigen.
Als er sie vergangene Nacht im Kerzenschein in diesem dünnen Nachthemd gesehen hatte, hätte er seinem heftigen Begehren beinahe nachgeben. Es hatte ihn schier überwältigt. Er sehnte sich danach, sie im Arm zu halten, ihren warmen Körper zu spüren, diesen sinnlichen Mund zu küssen. Es hatte ihn übermenschliche Anstrengung gekostet, dem Impuls zu widerstehen, sie aufs Bett zu legen, sich in ihr zu verlieren und all das Schreckliche zu vergessen, das ihm widerfahren war.
Ich muss verrückt geworden sein, dachte er jetzt. Es war eine unmögliche Vorstellung, wieder eine Frau in sein Leben zu lassen.
Mit vor Schmerz verzerrtem Gesicht stürmte er hinaus. Er begehrte diese Frau, doch er wusste, wie gefährlich das für sie sein könnte.
Ohne ihn kam Julie die Hazienda seltsam verlassen vor. Sie unterrichtete Kico, ging mit ihm spazieren und las ihm jeden Abend eine Gutenachtgeschichte vor – entweder auf Spanisch oder Englisch.
Tagsüber war es unerträglich drückend und beunruhigend windstill. Julie schlug vor, den Unterricht im Schatten der Bäume abzuhalten, doch selbst dort war es so heiß, dass sie und Kico sich kaum auf den Lehrstoff konzentrieren konnten.
„Für den Rest des Tages nehmen wir uns hitzefrei“, schlug Julie am Freitag nach der ersten Unterrichtsstunde vor. „Dein Vater wird sicher nichts dagegen haben.“
Sie brauchte dringend eine Pause und vor allem Abstand von der Insel. Außerdem wollte sie ungestört mit ihren Eltern telefonieren. In der Hazienda könnte womöglich jemand mithören. Das war im Postamt von Patzcuaro wohl eher ausgeschlossen.
Obwohl Alicia sich seit Tagen nicht hatte blicken lassen, wurde Julie das Gefühl nicht los, auf Schritt und Tritt von dieser Frau beobachtet zu werden.
Gemeinsam mit Kico brachte Julie die Bücher zurück ins Klassenzimmer. Auf dem Weg ins Haus sagte sie: „Ich nehme die Fähre nach Patzcuaro. Hast du Lust, mich zu begleiten, Kico?“
Der Kleine schüttelte verneinend den Kopf. Wahrscheinlich hatte ihm der Albtraum vor einigen Tagen zu sehr zugesetzt.
„Schade. Dann sehen wir uns beim Abendessen. Ich bringe dir eine kleine Überraschung mit. Einverstanden?“
„Okay.“
Begeistert klang das nicht gerade. Trotzdem war Julie entschlossen, an ihrem Plan festzuhalten. Seit ihrer Ankunft hatte sie noch keinen einzigen Tag frei gehabt.
Also suchte sie Eloisa in der Küche auf und bat sie, sich während ihrer Abwesenheit um Kico zu kümmern. „Hier haben Sie etwas Geld. Gehen Sie mit dem Kleinen zum Mittagessen ins Dorf, wenn er Lust hat. Er darf sich selbst aussuchen, was er essen möchte. Zum Abendessen bin ich wieder da. Bis dahin lassen Sie Kico nicht aus den Augen.“
„In Ordnung, Señorita Julie. Sie können sich auf mich verlassen.“
Juanita, die das Gespräch mit angehört hatte, äußerte Bedenken. „Das wird Alicia gar nicht gefallen. Sie ist ein schlechter Mensch, Señorita Julie. Im Dorf erzählt man sich, dass ihre Mutter eine echte Hexe war, die Tote zum Leben erwecken konnte. Alicia soll diese Fähigkeit geerbt haben.“ Mit Verschwörermiene fügte sie leise hinzu: „Man sagt, sie bringe die Geister der Verstorbenen zurück und spreche mit ihnen.“
Ungläubig musterte Julie die ältere Frau. Warum erzählte sie das? Julie wusste, dass solche Geschichten
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