Hazienda der Traeume - Julia Saisonband Bd 66
nicht ausmalen.
Er hatte sie begehrt. Doch als er spürte, wie sehr der Sturm sie ängstigte, hatte er sie einfach nur schützend in den Arm genommen, die ganze Nacht bei ihr gelegen und nicht ein einziges Mal versucht, sie zu verführen.
Rafaels Charakter war sehr vielschichtig – kühl und abweisend, dann plötzlich liebevoll und zärtlich.
Im ernüchternden Tageslicht fiel es ihr schwer zu glauben, dass sie sich ihm beinahe hingegeben hätte. Bei der Vorstellung, wie es hätte sein können, pochte ihr Herz sofort schneller.
Erneut tastete Julie auf dem Nachttisch nach ihrer Uhr. SchonViertel vor acht! Hastig verließ sie das Bett und verschwand unter der Dusche. Das Wasser war kalt, dadurch wurde sie wenigstens schnell munter.
Die Kleider, die sie bei ihrer Ankunft im Hotel getragen hatte, waren inzwischen trocken. Sie zog sich an und steckte Bluse und Rock in die Tüte. Dann kämmte sie sich und tuschte ihre Wimpern. Eingehend betrachtete sie sich im Spiegel. Äußerlich hatte sie sich nicht verändert, doch sie war sicher, nicht mehr dieselbe zu sein wie am vergangenen Abend. Behutsam berührte sie die Lippen, die Rafael geküsst hatte. Sie bebten unter ihren Fingerspitzen.
„O Rafael“, flüsterte sie ihrem Spiegelbild zu. Bei der Erinnerung an die leidenschaftlichen Küsse wurde ihr heiß.
Was habe ich nur getan?, fragte sie sich. Sie kannte den Mann kaum, war sich nicht einmal sicher, ob sie ihn überhaupt mochte. Aber als er sie in der vergangenen Nacht berührt hatte, war sie nur zu bereit gewesen für seine Küsse.
Schnell warf sie ihrem Spiegelbild noch einen letzten Blick zu und wandte sich ab.
Rafael saß an einem Fenstertisch mit Blick auf den grauen Himmel. Der Sturm hatte sich gelegt, aber es sah nach weiterem Regen aus.
Julie erschien am Eingang zum Speisesaal und blieb zögernd stehen – schlank und hübsch in einem apfelgrünen Sommerkleid, die blonden Locken wie immer wild und ungebändigt. Bei ihrem Anblick empfand Rafael sofort wieder heiße Erregung. Wäre das Fenster nicht zu Bruch gegangen, hätten er und Julie sich in der vergangenen Nacht geliebt. Doch es wäre ein Fehler gewesen. Er wollte sich nicht wieder auf eine Frau einlassen, er war zu sehr verletzt worden.
Als sie näher kam, bemerkte er ihre rosigen Wangen, und sein Blick wurde zärtlich. Wie jung und unsicher sie in diesem Moment wirkte. Natürlich erinnerte auch sie sich an die vergangene Nacht, die sie so innig zusammengeführt hatte.
Höflich erhob er sich und rückte ihr einen Stuhl zurecht. „Guten Morgen.“
„Guten Morgen.“ Sie rang sich ein Lächeln ab. „Der Sturm ist offensichtlich vorbeigezogen. Wo wütet er jetzt?“
„Er ist auf dem Weg zur anderen Küste. Aber er hat sehr nachgelassen. Hier erwarten uns weitere Regenfälle. Daher würde ich gern so schnell wie möglich zur Insel zurückkehren.“ Er machte dem Kellner ein Zeichen. „Kaffee für die Señorita, por favor.“
„Was macht die Hand?“ Sie deutete auf den Verband.
„Ach, das ist nur ein Kratzer.“
Sie gaben ihre Frühstücksbestellung auf, als der Kaffee serviert wurde. Verlegen rührte Julie in der Tasse und blickte aus dem Fenster. Die vergangene Nacht stand zwischen ihr und Rafael.
Das üppige Frühstück bestand aus Tortillas, Eiern und schwarzen Bohnen mit viel scharfer Sauce. Julie vergaß ihre Verlegenheit und widmete sich mit großem Appetit der herzhaften Mahlzeit. Lächelnd sah Rafael zu, wie sie es sich schmecken ließ. Sie wirkte so zart und zerbrechlich, aber sie hatte einen Appetit wie ein Landarbeiter.
Margarita hatte stets in ihrem Zimmer gefrühstückt – schwarzen Tee und trockenen Toast.
Die beiden Frauen waren völlig unterschiedlich. Margarita war eine kühle Schönheit gewesen, die er nur hatte berühren dürfen, wenn sie dazu bereit war.
Am Anfang hatte er sie jedoch für die sinnlichste Frau gehalten, der er je begegnet war. Bei einem Bankett, das der mexikanische Präsident ihm zu Ehren gab, hatte sie seinen Künstlerblick sofort auf sich gezogen. Damals hatte Rafael im Auftrag der mexikanischen Regierung eine Büste von Benito Juarez gefertigt. Anlässlich ihrer feierlichen Enthüllung im Alameda Park hatte der Präsident ihn mit einer Goldmedaille ausgezeichnet.
„In Anerkennung und Würdigung Ihrer künstlerischen Tätigkeit“, erklärte der Präsident, als er die Medaille an Rafaels Revers befestigte.
Später gratulierte Margarita ihm. Er wusste, dass sie eine bekannte Schauspielerin
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