Hazienda der Traeume - Julia Saisonband Bd 66
hingezogen fühlen? Wer war er? Welche Rolle hatte er beim Tod seiner Frau gespielt? Es war ihr völlig unbegreiflich, aber sie hatte sich tatsächlich in Rafael Vega verliebt.
Sie sehnte sich nach ihm, fürchtete jedoch gleichzeitig seine Nähe.
Aber er ließ sich sowieso nicht blicken.
Am vierten Tag nach ihrem schrecklichen Erlebnis ging es Julie wieder so gut, dass sie aufstand und duschte. Als Eloisa ihr das Frühstück brachte, bat Julie: „Bitte stellen Sie das Tablett auf den Tisch am Fenster.“
„Fühlen Sie sich wieder besser, Señorita?“, fragte das Mädchen besorgt.
„Ja, vielen Dank, Eloisa. Nach dem Frühstück würde ich gern einen kleinen Spaziergang unternehmen. Das Wetter ist so herrlich.“
„Das ist es schon, seit der Hurrikan vorbeigezogen ist. Nichts erinnert mehr an das Unwetter.“ Sie stellte das Tablett mit Obst, Käseomelett und warmen Croissants auf den Tisch. „Kico fragt dauernd nach Ihnen. Darf er Sie nachher besuchen?“
„Ja gern. Ich freue mich auf seinen Besuch.“
„Erwartetdraußen.“ EloisagingzurTürundschob Kico lächelnd ins Zimmer. „Geh schon“, sagte sie aufmunternd und schloss die Tür hinter sich.
„Hallo Kico.“ Julie breitete die Arme aus. „Bekomme ich einen Kuss?“
Er kam näher. „Geht es Ihnen wieder gut?“
„Ja, Schatz. Mir geht es prima.“ Sie drückte ihn an sich. „Du hast mir sehr gefehlt.“
Er legte ihr die Arme um den Nacken und schmiegte sich an sie.
Julie gab ihm einen Kuss auf die Wange.
Als sie ihn wieder losließ, fragte er: „Sie sind in den See gefallen, oder?“
„Ja, leider.“
„Wie Mama. Aber Sie sind nicht ertrunken.“ Er mied ihren Blick. „Ist es dunkel da unten?“, fragte er furchtsam. „Haben Sie meine Mama gesehen?“
Einen Moment lang rang Julie um Fassung. Dann hatte sie sich wieder im Griff. „Deine Mutter ist nicht im See, Kico.“
„Doch.“ Sein kleiner Körper erschauerte. „Ist es kalt da unten?“
Julie zog ihn wieder an sich. „Ja.“ Sie versuchte, ganz sachlich zu bleiben. „Das Wasser war sehr kalt. Aber dein Vater hat mich herausgezogen, und als ich wieder trocken war, habe ich nicht mehr gefroren.“ Sie sah dem Kleinen in die Augen. „Dein Vater ist sehr mutig, Kico. Und er kann sehr gut schwimmen. Er hat mich zum Boot zurückgezogen, als wäre ich leicht wie eine Feder.“
Sie schob ihn von sich. „Frühstückst du mit mir?“ Sie strich Erdbeerkonfitüre auf ein Croissant und reichte es ihm.
Strahlend nahm er es an und biss herzhaft hinein. Für dieses Mal war die Welt für ihn wieder in Ordnung.
Doch Julie konnte seinen verängstigten Blick nicht vergessen. Offenbar glaubte Kico, seine Mutter läge noch am Grund des Sees. War sie denn nicht beerdigt worden? Hatte er noch nie am Grab seiner Mutter gestanden? Sie musste unbedingt mit Rafael sprechen. Kico brauchte dringend Hilfe, um über den Tod seiner Mutter hinwegzukommen. Sie selbst konnte diese Hilfe nicht leisten.
Rafael erschien am nächsten Morgen nicht zum Frühstück im Esszimmer, auch das Mittagessen nahmen Kico und sie allein ein. Am Abend leistete er ihnen jedoch Gesellschaft und erhob sich höflich, als sie hereinkam. „Guten Abend“, sagte er. „Ich hoffe, es geht dir besser.“
„Viel besser, danke.“
Allerdings war sie noch blass und wirkte sehr schmal.
Fröhlich lächelte sie Kico zu. „Wir haben heute den Unterricht wieder aufgenommen“, berichtete sie. „Kico hat eine sehr schnelle Auffassungsgabe. Ich bin sehr stolz auf ihn.“
„Der Unterricht kann warten. Ruhe dich lieber noch einige Tage aus.“
„Das ist wirklich nicht nötig. Ich möchte Kico noch so viel wie möglich beibringen, bevor er demnächst in den USA zur Schule geht, und bevor ich nach Guadalajara zurückkehre“, erklärte sie ruhig.
Bis dahin waren es noch drei Wochen. Rafael atmete tief durch. Er konnte sich das Leben ohne Julie gar nicht mehr vorstellen. Ihm kam es vor, als wäre sie schon immer in diesem Haus und Teil seines Lebens gewesen.
Doch da machte er sich leider etwas vor. Sie würde nie ein Teil seines Lebens sein. Daher war es wohl am besten, dass sie und der Junge bald abreisten. Wenn er das Haus erst einmal für sich hatte, konnte er sich wenigstens auf seine Arbeit konzentrieren.
Er hatte mit einem neuen Entwurf angefangen. Zu seiner großen Überraschung kam er außerordentlich gut damit voran. Seit langer Zeit hatte er zum ersten Mal das Gefühl, seine Schaffenskraft zurückzubekommen. Zwei
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