Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)
intime, schmutzige Informationen weiterzugeben. Ich selbst hatte diese Neigung schon häufig ausgebeutet, deshalb war ich vorgewarnt. Dennoch bedurfte es großer Willensstärke, dem Impuls zu widerstehen.
»Wer ich bin, ist ohne Bedeutung«, sagte ich. »Ich weiß es selbst kaum noch. Es zählt nur, was ich tue.«
Kurz darauf wurde unser Essen serviert, und wir verbrachten die restliche Zeit mit dem Vergleichen unserer Erfahrungen in und um New Haven. Ich erfuhr eine Menge über Shellys erfolgreichen Feldzug gegen lokale Verbrechensorganisationen, und er erfuhr etwas über den historischen und heutigen demographischen Aufbau der Stadt und ihrer Umgebung.
Als er mich fragte, woher ich solche Dinge wusste, antwortete ich: »Ich merke mir ständig alle möglichen unwichtigen Details. Eine schlechte Angewohnheit von mir.«
Eine Erklärung, die er nicht anzweifeln konnte, ob er sie nun glaubte oder nicht.
Zurück zu Hause, stellte ich erfreut fest, dass sich nichts verändert hatte. Die Kolumbianer hatten sich solidarisch zu den Bosniern gesellt, um das Spiel der Celtics zu schauen, bei dem die favorisierte Mannschaft gesiegt hatte, und nun wurde rundum gefeiert, mit Unterstützung der üppigen Reste der gestrigen Party.
Little Boy, meine Miene interpretierend, versicherte mir, dass sein bester Mann stocknüchtern draußen die Peripherie überwachte, vollständig bewaffnet und in ständiger Kommunikation mit seinem Zweitbesten – der ein wenig betrunken war, aber berühmt dafür, einst ein Messer genau in das Auge eines serbischen Verräters geschleudert zu haben, nachdem er eine ganze Nacht lang Tequila getrunken hatte, womit er den Saufwettbewerb zwar verloren, den Kampf aber gewonnen hatte.
Ich entdeckte Natsumi in der Bibliothek, wie eine Katze in einem Sessel zusammengerollt. Sie las in einer Ausgabe von
Stolz und Vorurteil,
die sie aus den vollgestopften Regalen ringsumher gezogen hatte.
»Oh, fein, du bist wieder da«, sagte sie und sah von ihrem Buch auf. »Das freut mich.«
»Mich auch. Es scheint, als hätten unsere Gäste sich eingelebt.«
»Ich habe noch nie so höfliche Leute kennengelernt. Wir Japaner bilden uns einiges auf unsere Umgangsformen ein, aber ich halte sie oft für aufgesetzt. Diese Typen sind wirklich so.«
»Du solltest doch wissen, dass ich nur die kultiviertesten Verbrecherbanden in unser Heim bitten würde«, sagte ich, dann erzählte ich ihr alles von meinem Treffen mit Shelly Gross.
»Glaubst du, er wird Wort halten?«
»Wahrscheinlich schon, und sei es auch nur, weil er nichts zu verlieren hat. Ich bin sicher, dass er genug über uns weiß, um uns verfolgen, wenn nicht sogar mit Hilfe des FBI erwischen zu können, falls er es wirklich versucht. Mir ist bewusst, dass meine Analyse seiner Motive laienhaft ist, aber das ist alles, was ich habe.«
»Ich finde deine Analyse sehr nachvollziehbar, und ich bin immerhin ein frischgebackener Bachelor der Psychologie.«
»Du siehst nicht aus wie ein Bachelor.«
»Hast du deinen Sinn für Humor genutzt, um mit deiner Frau zu flirten?«, fragte sie.
Ich brauchte einen Moment, um die Haarnadelkurve des Gesprächs zu nehmen. Ich gab mir große Mühe, aufrichtig zu antworten.
»Ja, das habe ich«, sagte ich. »Es war vermutlich die Basis unserer Beziehung. Etwas anderes könnte es auch nicht gewesen sein.«
»Wahrscheinlich stellst du dein Licht unter den Scheffel, aber das ist egal. Sie ist fort, du bist zurück von den Toten und versuchst, dein Leben wieder aufzubauen. Alles, was vorher war, ist irrelevant. Zumindest sollte es das sein.«
»Wir haben uns immer ein bisschen gekabbelt. Bis zu einem gewissen Punkt gefiel mir das. Aber sobald sie sich wirklich aufgeregt hat, habe ich nachgegeben.«
»Aus Konfliktscheuheit«, sagte sie.
»Ja.«
»Demnach hast du bewusst alles vermieden, was die Beziehung hätte gefährden können. Du hast die Grenzen nie ausgelotet.«
»Nein. Florencia war eine atemberaubend schöne und erfolgreiche Frau. Ich habe meinen Teil zum Haushalt beigetragen, aber in Wirklichkeit war ich nur der alberne Trottel, der sein Glück nicht fassen konnte, dass die Zuneigung einer so erstaunlichen Frau ihm gehörte. Man kann es nicht anders ausdrücken. Wenn man sich in einer so asymmetrischen Situation wiederfindet, stellt man keine Fragen, sondern dankt einfach den Göttern und macht weiter.«
»Stellst du dir jetzt Fragen?«
»Ja, ich stelle alles in Frage.«
»Wie fühlst du dich dabei?«
»Als würde
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