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Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)

Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition)

Titel: Head Shot: Thriller (Knaur TB) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Chris Knopf
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Donut-Laden auf der anderen Straßenseite aus inspizierte. Auf dem plump gemalten Schild über dem geschwärzten Schaufenster stand: »Francines Vorhersagen – erfahr dein Schicksal, wenn du dich traust«. Die Tür, ehemals schwarz, war jetzt eher schlammgrau. In der Mitte befand sich eine riesige Messingklingel, deren Glanz sie allerdings nicht ständiger Nutzung verdankte. Ich beobachtete den Laden die ganze Woche über, während mein Herz vom reichlichen Kaffeegenuss zu rasen begann, und erblickte nur ein halbes Dutzend Wagemutige, die Francines Dienste in Anspruch nahmen.
    Mir fiel auf, dass jeden Morgen um zehn ein weißer Cadillac DeVille erschien, ein Oldtimer mit goldenen Zierleisten und exklusivem Vinyldach, der jeweils gegen neunzehn Uhr wieder verschwand. Ich nahm an, dass es sich um Francines Wagen handelte. Die Scheiben waren getönt, so dass ich nur eine üppige blonde Haarmähne erkennen konnte, aber keine Gesichtszüge.
    Am nächsten Tag trafen meine Pakete ein. Das Wichtigste, das ich in meinen Jahren als Forscher gelernt habe, ist, dass sich nichts, was man im Voraus annimmt, hinterher bestätigt. Das bedeutet, dass viele Menschen, die keine Forscher sind, ihr Leben lang Dinge annehmen, die nicht stimmen, und ihren Irrtum nie bemerken.
    Im Fall des Make-up-Projekts erwies sich dieses Prinzip als nur allzu wahr. Es stellte sich heraus, dass ich nicht der Erste war, den der Vorgang einschüchterte, weshalb sich die Produzenten Mühe gegeben hatten, alles so einfach wie möglich zu gestalten. Die Prothesen waren so lebensecht, dass mir der Verdacht kam, es könnte sich um plastiniertes Gewebe handeln. Die Bindemasse, mit der man Gummi und Haut verband, ließ sich mühelos auftragen und wirkte völlig natürlich, so man sich Zeit nahm und akribisch den Anweisungen folgte.
    Vorübergehend überwältigt von den Möglichkeiten, hätte ich mich beinah in einen Afroamerikaner verwandelt, aber Besonnenheit führte zu einem weißen Knaben mit hübscher Kalifornienbräune, einem Schopf sonnengebleichter blonder Haare, die unter einer Schirmmütze hervorquollen, und einer scharfen Adlernase. Es dauerte fast vier Stunden, bis ich zufrieden war, aber das Ergebnis war die Zeit und Mühe wert.
    Am meisten überraschte mich, dass ich mich nicht unbehaglich fühlte. Ich hatte angenommen, dass ein dickes Make-up unerträglich sein würde, aber ich spürte den ganzen Kunststoff in meinem Gesicht kaum.
    Wer hätte das gedacht.
     
    Francine ließ sich reichlich Zeit, ehe sie auf mein Drücken der großen Messingklingel die Tür öffnete. Es war später Nachmittag, und das kalte, gedämpfte Licht trug wenig dazu bei, ihr Gesicht zu erhellen, doch genug, um zu erkennen, dass sie weder jung noch attraktiv war, trotz der Anstrengungen ihres Friseurs und ihres Schönheitschirurgen, den gegenteiligen Eindruck zu erzeugen.
    »Ich ziehe es vor, Termine zu vereinbaren«, sagte sie, während sie an mir hochblinzelte.
    »Okay. Wann kann ich wiederkommen?«
    »Haben Sie kein Telefon?«, fragte sie. Ihrem Akzent nach stammte sie aus einem der fünf New Yorker Stadtteile, aber sie war schon zu lange fort, als dass ich hätte erkennen können, aus welchem. Ich schätzte Brooklyn, war aber nicht sicher.
    »Nein.«
    Ich tastete meine Jacke ab, als könnte sich so eins auf magische Weise materialisieren.
    Francine seufzte hörbar.
    »Ich schätze, es ginge jetzt.«
    »Das wäre toll«, sagte ich.
    Sie wandte sich ab und kehrte in die Düsternis ihres Salons zurück. Ich schloss die Tür hinter mir und folgte ihr. Das Innere wirkte wie die Karikatur einer Zaubererhöhle, als wäre es von einem Innendekorateur entworfen worden, der nichts anderes kannte als melodramatische Klischees. Von innen erleuchtete Schädel, Wandbehänge aus mit Runen bedrucktem Tuch, eine Shisha auf einem Jugendstil-Lacktischchen und in der Mitte des Raums, unter der überladenen Deckenleuchte, ein runder Tisch mit Kristallkugel. Das Ambiente wurde allerdings von Francines Kleidung leicht beeinträchtigt, einem rosa Trainingsanzug, den ihre üppige Figur bis zum äußersten strapazierte, und weißen abgewetzten Turnschuhen, die ihre winzigen Plattfüße umschlossen. Ihre einzigen Zugeständnisse an ihre Rolle waren eine Halskette aus mehreren Perlensträngen und lange Fingernägel, um gekonnt über die milchige Kugel zu streichen.
    »Setzen Sie sich«, sagte sie und warf sich in den Sessel auf der anderen Seite. »Fünfzig Dollar für die erste Viertelstunde.«

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