Headhunter
worden, so dass die Unterbrechung in dem
Kontrolljournal, das Stromausfälle oder sonstige Störungen dokumentierte, nicht
verzeichnet wurde. Der Tag, an dem ich den Wachleiter für Tripolis ausgesucht
hatte, war wirklich ein gesegneter Tag gewesen.
Ich
stieg die Stufen zur Haustür hoch und lauschte dem Vogelgezwitscher und dem
entfernten Hundegebell. Bei unserem Gespräch hatte Lander behauptet, keine
Haushaltshilfe zu haben, keine Frau, die das Haus hütete, keine erwachsenen
Kinder, die daheim wohnten, und auch keinen Hund. Aber 100 Prozent sicher konnte
man sich nie sein. Ich ging immer von 99,5 Prozent Sicherheit aus und davon,
dass das verbleibende halbe Prozent vom Adrenalinschub ausgeglichen wurde: Ich
sah, hörte und roch besser.
Ich
holte den Schlüssel hervor, den Ove mir im Sushi & Coffee gegeben hatte.
Alle Tripolis-Kunden mussten einen Reserveschlüssel hinterlegen, sollte es in
ihrer Abwesenheit einen Einbruch, eine Störung oder ein Feuer geben. Er glitt
ins Schloss und ließ sich mit einem geschmeidigen Geräusch drehen.
Ich
war im Haus. Die diskret an der Wand montierte Alarmanlage schlief mit
geschlossenen Plastikaugen. Ich zog Handschuhe an und klebte sie an den Ärmeln
des Overalls fest, damit keine losen Körperhaare auf den Boden fallen konnten.
Dann zog ich die Badekappe, die ich unter der Mütze trug, über die Ohren nach
unten. Ich durfte keine DNA-Spuren hinterlassen. Ove hatte mich einmal gefragt,
warum ich mir nicht gleich den Schädel rasierte.
Ich
hatte ihm gar nicht erst zu erklären versucht, wie wichtig mir meine Haare
waren. Von ihnen würde ich mich fast genauso ungern trennen wie von Diana.
Obwohl
ich reichlich Zeit hatte, beeilte ich mich. Über der Treppe, die nach oben ins
Wohnzimmer führte, hingen Porträts von Landers Kindern. Ich verstehe nicht, was
erwachsene Menschen dazu treibt, irgendwelchen sich selbst prostituierenden
Künstlern Geld für diese peinlichen, überemotionalen Abbilder ihrer Lieblinge
zu zahlen. Haben sie wirklich Freude daran, ihren Gästen die Schamesröte auf
die Wangen zu treiben? Das Wohnzimmer war teuer, aber langweilig eingerichtet.
Abgesehen von dem signalroten Pesce-Sessel, der wie eine mollige, breitbeinig hockende
Frau aussah, die gerade ein Kind geboren hatte, nämlich den Ball, der vor dem
Sessel lag und auf dem man wunderbar die Füße hochlegen konnte. Sicher nicht
Jeremias Landers Idee.
Über
dem Sessel hing das Bild. »Eva Mudocci«, die britische Violinistin, die Munch
Anfang des letzten Jahrhunderts kennengelernt hatte und deren Porträt er direkt
auf eine Steinplatte gezeichnet hatte. Ich hatte schon andere Exemplare des
Drucks gesehen, aber erst jetzt, hier, in diesem Licht, fiel mir auf, an wen
Eva Mudocci mich erinnerte. Sie sah aus wie Lotte. Lotte Madsen. Ihr Gesicht
hatte die gleiche Blässe, und ihr Blick strahlte eben jene Melancholie aus, die
ich so nachdrücklich aus meinem Gedächtnis gestrichen hatte.
Ich
nahm das Bild von der Wand und legte es mit der Rückseite nach oben auf den
Tisch. Zum Auftrennen nutzte ich das Teppichmesser. Die auf beiges Papier
gedruckte Lithografie hing in einem neuen Rahmen, so dass ich keine Stifte
oder alte nelkenförmige Nägel entfernen musste. Kurz gesagt, ein einfacher Job.
Ohne
jede Vorwarnung wurde die Stille von einem heulenden Alarm zerrissen. Ein
durchdringendes Pulsieren, dessen Frequenz von weniger als 1000 bis auf 8000 Hertz schwang, ein Laut,
der so effektiv durch die Luft und alle anderen Geräusche schnitt, dass man
ihn noch mehrere Hundert Meter entfernt hörte. Ich erstarrte. Es dauerte nur
wenige Sekunden, dann verstummte der Alarm draußen auf der Straße wieder.
Sicher nur ein unvorsichtiger Wagenbesitzer.
Ich
fuhr mit meiner Arbeit fort. Öffnete die Mappe, legte die Lithografie hinein
und nahm das Blatt mit dem Ausdruck von Fräulein Mudocci heraus. Vier Minuten
später hing es wieder gerahmt an der Wand. Ich legte den Kopf zur Seite und
betrachtete das Bild. Es konnte Wochen dauern, bis die Opfer etwas bemerkten.
Sogar bei den seltsamsten Fälschungen. Im Frühling hatte ich das Ölgemälde
»Horse with little rider« von Knut Rose durch ein aus einem Kunstbuch gescanntes
und anschließend vergrößertes Bild ersetzt. Erst vier Wochen später wurde dieses
Gemälde gestohlen gemeldet. Fräulein Mudocci würde vermutlich wegen des
Weißtons des Papiers entlarvt werden, aber auch das konnte so lange dauern,
dass der Diebstahl zeitlich nicht mehr eingeordnet werden
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