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Heart beats sex

Heart beats sex

Titel: Heart beats sex Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Johanna Driest
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dass es wieder mal schiefging und sie nicht ganz so toll war. Seinen schlechten Ton brauchten sie, damit sie etwas hatten, woran sie ihre Enttäuschung festmachen konnten.
    Für mich bedeutete das, dass ich Anna auf keinen Fall kritisieren durfte. Sie musste ohne Zweifel toll sein, und Papi gegenüber bedeutete es, dass ich ihm keine Gelegenheit geben durfte, sich von mir ein Bild als toller Tochter zu machen. Ich musste ihn einfach daran hindern, mich toll zu finden. Selbst wenn ich irgendwas von ihm wollte, war es besser, ihn über Mitleid und Nachsicht zu kriegen (»Ach, die arme Kleine.«), als darüber, einer tollen Tochter Geschenke zu machen. (»Du hast meine Erwartungen übertroffen, was wünschst du dir?«)
    Justin war versunken in seine Vokabeln und sah uns nicht kommen, und Papi fragte zum dritten Mal, was denn mit den
von ihm bestellten Büchern sei. Ich erklärte ihm zum dritten Mal, dass Anna schon dreimal während seiner Abwesenheit angerufen hatte und dass das eine Buch morgen komme, das andere bereits beim Buchhändler liege und das dritte schon auf seinem Nachttisch war, bevor er und Anna abgereist waren.
    »Daran könnte ich mich doch wohl erinnern, wenn da ein Buch gelegen hätte«, sagte er stirnrunzelnd.
    »Ich habe es aber da liegen sehen.«
    »Hast du denn da geschlafen?«
    »Nein, ich habe es nur da liegen sehen.«
    »Was wolltest du denn in unserem Schlafzimmer?«
    »Ich wollte sehen, ob es da liegt.«
    »Verstehe ich nicht.«
    »Anna hat dreimal angerufen, einmal bei Justin, einmal bei mir und einmal bei dem Buchhändler. Der hat dann bei mir angerufen und gesagt, das Buch ist doch schon längst gekommen. «
    »Welches Buch?«
    »Hegel. Ästhetik. Teil drei.«
    Er stellte seinen Koffer ab und hob die Hände zum Himmel, als wollte er sich die weißen Haare raufen, tat es dann aus Eitelkeit aber nicht, und die Arme blieben in der Luft stehen. (Zwischen den Armen hindurch hätte ich die alte Mühle sehen müssen, aber sie war ja weg. Ich konnte es noch immer nicht fassen: Die schöne alte Mühle, die hier schon stand, als es noch gar keinen Flughafen gab, hatten sie abgetragen.)
    »Das darf doch nicht wahr sein! Ich hab doch extra gesagt, nicht Teil drei, sondern Teil eins und zwei! Teil drei habe ich schon.«
    »Ja, sage ich doch. Liegt auf deinem Nachttisch.«
    »Wo soll es wohl liegen, wenn ich es zweimal habe! Wenn ich es demnächst zwanzigmal habe, liegt es überall herum.«
Er nahm seinen Koffer wieder auf, und wir gingen das letzte Stück zum Wagen. Ich warf einen abgerissenen Knopf aus meiner Manteltasche an Julians Fenster. Er hob ärgerlich den Kopf und glotzte in die falsche Richtung. Dann fiel der Groschen – Papi! –, er sprang aus dem Auto und ging stracks auf seinen Vater zu, um ihm den Koffer abzunehmen. Sein Vater aber wollte ihn erst in die Arme nehmen, und so gab es diesen kleinen Ringkampf, während ich den Koffer verstaute.
    Ich hielt ihm die Autotür auf.
    »Ich habe es extra gesagt – nicht Teil drei, sondern Teil eins und zwei«, fing er wieder an.
    Ich stieg hinten in den Wagen. »Vielleicht stimmt es doch, und du hast es nur vergessen.« Er ließ sich auf den Beifahrersitz sinken.
    »Wie sollte ich das vergessen? Die ersten beiden Teile fehlen! Vielleicht hat Anna den Kamin damit geheizt, jedenfalls fehlen die.«
    »Du vergisst so oft Dinge. Du bist alt und vergesslich. Auch wenn du es nicht akzeptieren möchtest, es ist so.« Bei Anna hätte ich das nicht sagen dürfen, auch nicht im netten Ton.
    Er lachte und gab auf. »Was gibt’s zum Abendessen?«
    »Broccoli.«
    Wie ein kleines Mädchen schrie er auf: »Broccoli? Igitt, ich hasse Broccoli!«
    »Okay, dann mach einen Gegenvorschlag, aber führ dich nicht wie ’n Kleinkind auf oder wie ’ne Tunte. Wenn es dir nicht passt, sag mir, was du stattdessen haben möchtest, oder koch dir deinen eigenen Scheiß.«
    Er lachte wieder. »Was denn nun – Kleinkind oder Tunte? Und kochen kann ich mir nur Kartoffelpüree und Spiegeleier, wenn du das Püree machst.«
    Es waren alles harmlose Themen, da machte er »nonsense
talking«, während ich mit einem Gedanken von Hegel dasaß, den ich mir aus seinem Buch Teil drei herausgefischt hatte. Der Gedanke war umständlich ausgedrückt, aber im Grunde ganz einfach: Die Literatur dürfe die Sprache nicht so lassen, wie sie alltäglich gebraucht werde, sondern müsse sich »in der Wahl der Wörter als auch in ihrem Klang oder ihrer Stellung« unterscheiden. Also: Schreib nicht

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