Heartbreaker - Chartbreaker
vor den MTV Studios war rappelvoll mit Fans, manche mit selbst gebastelten Schildern in der Hand, andere mit Fähnchen, die von MTV verteilt worden waren. Ein solches Geschrei hatte ich in meinem Leben noch nicht gehört, und ich konnte sogar ein paar Polizisten sehen, die die Menge unter Kontrolle zu bringen versuchten.
»Hier bleibst du, bis wir dich im Studio brauchen«, ratterte Amy herunter, während sie Mom und mich in die Garderobe verfrachtete, die kaum größer als ein Wandschrank war. Sie sprach superschnell und ich identifizierte sie augenblicklich als heftigen Koffeinjunkie. Sie wirkte auf mich irgendwie nicht wie eine New Yorkerin, und ich hatte recht, denn später erzählte sie mir, sie sei aus Kansas und studiere das zweite Jahr an der NYU.
»Geile Stiefel«, sagte sie nach einem Blick auf meine Füße, und ich muss selbst zugeben, dass ich an diesem Tag noch ein Superhändchen für mein Outfit gehabt hatte. Eine wahre Sternstunde der Mode! Ich hatte mein schwarzes Kleid an,
das aussieht, als hätte Edward Gorey es entworfen, und obwohl ich mir darin bestimmt den Tod holen würde, war es das wert. Drüber trug ich meine Vintage-Cabanjacke, die ich in Kalifornien fast nie anziehen kann. Trotz des ganzen Dramas im Vorfeld war ich jetzt sehr zufrieden mit mir. Auch wenn meine Mutter mich mindestens eine Million Mal fragte: »Und die Stiefel willst du wirklich anlassen?«
Ich versuchte, mich auf der hässlichen hellbraunen Couch etwas zu entspannen und nicht daran zu denken, dass ich gleich live auf MTV sein würde, aber es fiel mir schwer. So viele Menschen würden mich sehen! Außerdem waren inzwischen auch die Do-Gooders eingetroffen, und aus Amys Walkie-Talkie krächzten im Sekundentakt Ankündigungen wie »Der Chartbreaker kommt in fünf Minuten!«, »Der Chartbreaker ist angekommen!«, »Für den Chartbreaker steht kein Wasser in der Garderobe bereit, ich wiederhole, für den Chartbreaker steht kein Wasser in der Garderobe bereit!«
»Der Chartbreaker hat seine M&Ms gerne alphabetisch sortiert«, sagte ich irgendwann und verdrehte die Augen. »Der Chartbreaker will, dass die nächsten neunzig Minuten alle rückwärts reden.« Dass Evan (und mit ihm der Rest der Band) andauernd als »Chartbreaker« bezeichnet wurde, wirkte auf mich doch ziemlich komisch und noch absurder als die Tatsache, dass Leute sich hier in die Haare kriegten, weil noch kein Wasser für die Jungs bereitstand. (Man muss sich immer vor Augen führen, dass das dieselben Kerle waren, die mal einen Wettbewerb veranstaltet hatten, wer von ihnen am meisten Spaghetti Bolognese essen konnte. Und lasst euch das eine sagen: Bei einem solchen Wettbewerb gewinnt keiner!)
»Pscht!« Meine Mutter stieß mir ihren Ellenbogen in die Rippen und deutete auf Amy, die sich offenbar auch um das Wasserdebakel des »Chartbreakers« kümmern musste und ununterbrochen in eines ihrer Handys quasselte. »Das arme Mädchen kriegt sonst noch einen Herzinfarkt.«
»Ich glaube, wohl eher der ›Chartbreaker‹«, antwortete ich
und wollte zur Tür raus, um auf dem Flur nach einer Toilette zu suchen. Da baute sich Amy vor mir auf und zeigte auf eine Tür in unserem Garderobenraum. In diesem Augenblick wurde mir klar, dass ihr eigentlicher Job darin bestand, mich von Evan fernzuhalten. Wenn Victoria jetzt hier wäre, ging mir unwillkürlich durch den Kopf, würde sie es locker an Amy vorbeischaffen, ganz sicher, und sie würde »dem Chartbreaker« auch blitzschnell zeigen, wo er sich sein verdammtes Wasser holen konnte.
Dann startete der Countdown: »Noch sechzig Minuten, bis ihr auf Sendung seid!«, »Noch vierzig Minuten!« Deswegen sind Rockstars wahrscheinlich oft so schlecht drauf, dachte ich. Sie müssen immer gnadenlos früh irgendwo sein, und dann schlafen ihnen die Füße ein, weil sie ewig auf ihren Auftritt warten müssen. Kein Wunder, dass schon so viele Garderoben demoliert worden sind.
Als es hieß: »Noch zehn Minuten!«, nahm Amy mich am Arm und führte mich zum Studio hinunter, wo ich in einer kalten und zugigen Wartezone vor mich hin fröstelte. »Tschüss, meine Kleine!«, hatte meine Mutter noch zu mir gesagt, als ich ging. »Und vergiss nicht, Oma zu grüßen!« Daran hatte sie mich auch vorher schon alle fünf Minuten erinnert. Aber wie ich nun so da stand und mir die Knie ganz weich und die Finger ganz taub wurden, hatte ich wahrlich andere Sorgen.
Ich blickte kurz zu Amy. In der Wartezone standen außer ihr noch jede Menge andere
Weitere Kostenlose Bücher