Heartbreaker - Chartbreaker
›Okay, das war’s! Jetzt erst mal keine Freizeit mehr!‹«
»Hast du eine Ahnung, wie lange ich gebraucht habe, um sie halbwegs medientauglich zu kriegen?«, sagte die zweite Frau und drehte den Wasserhahn auf. »Die konnten ja keinen einzigen Satz ordentlich formulieren, nach jedem zweiten Wort kam ›Hey‹ oder ›Alter‹ oder ›geil‹. Es war grauenhaft.«
»Ja, und jetzt schreien sie nur noch: ›Wann nehmen wir endlich unser Album auf? Wir wollen jetzt ein Album machen. ‹ Am liebsten würde ich ihnen sagen: ›Hey, Kids, seid froh, dass wir diesen einen Song rausgebracht haben! Nehmt euer Geld und verschwindet!‹«
»Wie ist denn der Vertrag, den sie unterzeichnet haben?«
»Tja, wie ist der wohl?«
Sie kicherten beide.
Ohmeingott, ohmeingott, ohmeingott .
»Aber der Song ist wirklich nicht schlecht«, sagte die Erste. »Die kommen damit jetzt richtig groß raus, auch wenn es nur ein One-Hit-Wonder ist. Na, immerhin können sie später mal ihren Enkelkindern erzählen, dass sie es in die Top Ten geschafft haben.«
Ich konnte nicht glauben, dass das gerade wirklich geschah. Bisher kannte ich das nur aus Filmen: Die Heldin hockt in einer Toilettenkabine, während am Waschbecken übel gelästert wird - eine Szene, bei der ich am liebsten immer gerufen hätte: ›Komm da raus! Zeig dich! Tu irgendwas!‹ Aber jetzt wusste ich, warum die Heldinnen das nie taten: Sie standen unter Schock. So wie ich gerade. Ich brachte es nicht fertig, aus meiner Kabine herauszustürmen und »Attacke!« zu rufen, weil ich so schockiert war, dass ich es kaum schaffte, das Gleichgewicht zu halten. Von wegen Attacke. Ich hatte genug damit zu tun, nicht in die Kloschüssel zu fallen.
Aber nachdem die beiden Frauen gegangen waren, rückte alles wieder an seinen Platz. Mir war, als hätte jemand mein
Gehirn durchgepustet, den ganzen Staub herausgeschüttelt. Meine Arme fühlten sich nicht mehr taub an, meine Knie nicht mehr weich, ich sah klar und scharf, und als ich aus der Kabine herauskam und in den Spiegel schaute, fühlte ich mich tapfer und entschlossen und überhaupt nicht ängstlich und verzagt.
Seit wann verhältst du dich wie ein Zuschauer? , hatte mein Vater mich gefragt.
»Damit ist jetzt Schluss, Daddio«, sagte ich zum Spiegel.
Es war höchste Zeit, einzugreifen und alles mal kräftig aufzumischen.
40
Something glorious is about to happen!
Bloc Party, »Positive Tension«
Es gibt ein paar Augenblicke in meinem Leben, die ich nie vergessen werde: wie ich Victoria kennengelernt habe, den ersten Kuss von James im Kühlraum des ScooperDooper und den Moment, als ich das MTV-Studio betrat, alle Schweinwerfer auf mich gerichtet waren und mich zweihundert Leute beklatschten und bejubelten, denen ich nie zuvor begegnet war, aber die mich alle kannten. Das war wirklich überwältigend. Mein Atem stolperte plötzlich ganz seltsam und flatterte in meiner Brust, setzte aus und wieder ein, aus und wieder ein. Adrenalinfunken schossen mir ins Herz und unter die Haut, bis ich das Gefühl hatte, körperlos zu sein. Ich leuchtete.
Ich musste erst quer über die Bühne marschieren, was ich zum Glück hinkriegte, ohne auszurutschen und mir dabei sämtliche Knochen zu brechen. Der Moderator stand am anderen Ende und gab mir ein Mikrofon, obwohl backstage ein Techniker bereits ein Mikro an mir befestigt hatte. Neben ihm stand die Band, und als ich Evan ansah, lächelte er mir zu; ein Lächeln, das vieles bedeutete.
Hallo.
Du fehlst mir.
Das tut mir alles echt leid.
Der Rest der Do-Gooders lächelte mir auch zu, und als ich nahe genug bei ihm war, umarmte ich Evan einfach, und das Publikum fing an zu rasen. »Live auf MTV!«, brüllte Dave, der Moderator, ins Mikrofon. »Evan und Audrey haben ihre Feindschaft begraben!« Als wäre es sein Verdienst, dass wir uns ausgerechnet hier im Studio versöhnten. Was für ein Lackaffe!
Als die »Wuuhuuhuu!« brüllenden Mädchen sich endlich beruhigt hatten, wandte sich Dave zu mir. »Hallo, Audrey, vielen Dank, dass du heute zu uns gekommen bist!«, sagte er, um mich danach schweigend anzustarren.
War das jetzt schon eine Frage? Sollte ich darauf irgendwas sagen? Stand die Antwort womöglich auf einer dieser blödsinnigen Karten? Bereits nach zehn Sekunden hatte sich wieder mal bestätigt, was für ein unterirdisch schlechter Interviewer Dave war.
»Ich freu mich auch, dass ich heute hier bin«, sagte ich schließlich und konnte hören, wie Tausende von Meilen entfernt
Weitere Kostenlose Bücher