Heaven (German Edition)
Träumerin halten. Aber trotz der tiefen Verbindung, die ich mit der Erde verspürte, war ich noch immer an das übernatürliche Leben gebunden. Das zu verstecken war unmöglich.
Als ich in mein Zimmer zurückkam, stellte ich fest, dass Mary Ellen keine Zeit verschwendet und unsere Nachbarinnen eingeladen hatte, um neue Bekanntschaften zu schließen. Die beiden Mädchen, Missy und Erin, stammten aus der gleichen Stadt, aus Fort Worth in Texas. Beide waren gleichermaßen aufgeregt, endlich auf dem College zu sein, und auch ihnen war es extrem wichtig, einen guten Eindruck zu machen. Missy war eine selbstbewusste Cheerleaderin, die ständig lächelte, während Erin erklärte, dass sie nur hier sei, um sich einen Freund zu angeln. Mary Ellen entschied auf der Stelle, dass wir alle miteinander beste Freundinnen werden würden, was nicht zuletzt bedeutete, dass sie das Zimmer der beiden ab sofort betrat, ohne anzuklopfen.
Wie ich bald erfuhr, besaß ich nicht einmal die Hälfte von alldem, was ich für eine Verbindungsparty brauchte, und musste mir daher alles von Mary Ellen zusammenborgen. Denn auch wenn die Mädchen tagsüber lässig gekleidet herumliefen, stylten sie sich am Abend mit High Heels und Minis auf, die kaum länger waren als Gürtel breit. Mary Ellen lieh mir ein nachtblaues Hemdchenkleid aus Seide und Riemchensandalen mit Absatz. Durch den luftigen Schnitt des Kleides wirkte ich größer und schlanker, als ich war. Mein kastanienbraunes Haar fiel mir lockig den Rücken hinab.
«Ihr seht toll aus», sagte Erin. «Dieser erste Abend wird unvergesslich werden.»
Weil die Mädchen Stunden vor dem Spiegel verbrachten, um sich zu stylen, war es schon kurz nach zehn, bis wir endlich aufbrechen konnten. Ich war inzwischen furchtbar müde und hätte mich am liebsten ins Bett gelegt, was ich aber natürlich nie zugegeben hätte. Zum Schein zupfte ich mir auch im Haar herum, erneuerte immer wieder mein Lipgloss und stimmte in ihren Chor über Unzufriedenheit mit dem eigenen Aussehen ein.
«In diesem Kleid wirken meine Waden total fett.»
«Zumindest bist du nicht so blass, dass du im Dunkeln förmlich leuchtest.»
«Aber hast du das Foto in meinem Ausweis gesehen? Das muss ich jetzt ein ganzes Jahr ertragen!»
«Mein Haar hält einfach nicht», stimmte ich ein, woraufhin die Mädchen mitleidig nickten und Mary Ellen mich mit einer Flasche Haarspray angriff.
Als wir endlich unterwegs waren, konnte ich die schönen Verbindungshäuser bald aus der Nähe betrachten. Wir hielten vor einem herrschaftlichen weißen Haus mit goldener Inschrift am Giebel an. Auf der Veranda standen Schaukelstühle, die von Pizza essenden Jungs belegt waren, die Bierflaschen schwenkten. Innen befand sich ein Speisesaal mit einer langen Eichentafel, von wo aus eine breite Treppe nach oben zu den Schlaf- und Gemeinschaftsräumen führte. Alles war von Studenten bevölkert: Sie lümmelten sich auf den Sofas, unterhielten sich im Stehen vor der Treppe oder chillten auf den Betten oder der Veranda. Auf dem klebrigen Boden standen unter einem Billardtisch ein Bierfass und rote Plastikbecher.
Die Erstsemester, vor allem die Mädchen, erkannte man auf Anhieb. Sie standen verschüchtert in kleinen Gruppen zusammen und trauten sich weder, etwas zu trinken, noch etwas zu sagen, aus Angst, die gefürchteten Verbindungsstudentinnen zu verärgern. Sie blieben unter sich und setzten sich unauffällig in Positur (wobei sie sich noch schnell durchs Haar fuhren), wann immer Jungs vorbeikamen. Am liebsten hätte ich über sie gelacht. Ihre Probleme wirkten für mich so belanglos, für sie aber waren sie regelrecht lebenswichtig. Ich ertappte mich bei dem Gedanken, dass ich gern mit ihnen getauscht hätte. Wie schön, wenn auch mein Leben so einfach gewesen wäre.
«Hey, Ladys, alles klar?», riefen uns die Jungs auf der Veranda mit strahlendem Lächeln zu, woraufhin die Mädchen kichernd und nervös ein paar Schritte näher rückten.
Als Xavier eintraf, kam er mir vor wie ein Fremder. Ich hatte mich so an die wachsame Haltung gewöhnt, die er wegen all der Probleme, die Himmel und Hölle ihm verschafft hatten, angenommen hatte. Jetzt aber hatte er sich innerhalb weniger Stunden verändert, und wie unzweifelhaft zu sehen, war er hier in seinem Element. Er kam gemeinsam mit mehreren anderen Jungs, die genau wie er schicke Polohemden trugen und nach teurem Aftershave dufteten. Man sah ihnen auf den ersten Blick, an, wie locker sie sich fühlten und dass
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