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Heaven - Stadt der Feen

Heaven - Stadt der Feen

Titel: Heaven - Stadt der Feen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Marzi
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machen. Es war nur nicht der rechte Zeitpunkt, darüber zu sprechen. Das war alles. Und das war in Ordnung für ihn.
    Die Charing Cross Road war nahezu verwaist. Nur wenige Autos kämpften sich durch den frisch gefallenen Schnee. Es gab kaum Spuren in dem Pulverweiß, wenige auf der Straße, keine auf den Gehwegen. Ein kleiner Teil der Anspannung, deren Gefangener er schon den ganzen Tag war, fiel von David ab.
    Nach fünf Minuten zu Fuß erreichten sie den Buchladen. Friedlich lag er in der Gasse, hinter den Fenstern brannte mattes Licht. David beschlich das Gefühl, als wäre er seit Jahren nicht mehr hier gewesen, so viel war in den letzten Stunden geschehen.
    Er steckte den Schlüssel ins Türschloss und öffnete leise den Laden. Innen empfing sie der sanfte Schein einer Leselampe. Miss Trodwood saß schlafend in dem Sessel, der mitten im Laden stand. Ein Buch lag geöffnet in ihrem Schoß.
    David erkannte es sofort. Dickens natürlich.
Große Erwartungen
.
    »Sie hat tatsächlich auf uns gewartet«, flüsterte Heaven.
    »Sonst geht sie immer um Punkt acht Uhr ins Bett«, murmelte David. Leise trat er vor den Sessel. Die Lesebrille saß der alten Dame schief auf der Nase, der Kopf war leicht zur Seite geneigt. Sie atmete ganz ruhig und
Große Erwartungen
, das halb auf ihren Bauch gerutscht war, hob und senkte sich im Rhythmus ihrer Träume. Ihre linke Hand berührte die Seite, bei deren Lektüre sie wohl eingeschlafen war, die andere Hand lag auf der Lehne des Sessels.
    Behutsam wollte David sich ihrer Brille annehmen, bevor sie auf den Boden fallen würde. In diesem Augenblick schlug Miss Trodwood die Augen auf und schlug David instinktiv mit der flachen Hand auf die Finger. Dann erst kehrten ihre Gedanken in die schlaflose Wirklichkeit zurück.
    »David!«, stellte sie fest, erleichtert und vorwurfsvoll gleichermaßen. »Und Heaven.« Sie seufzte. »Wo habt ihr nur gesteckt?« Dann betrachtete sie die beiden und sagte: »Oh Gott, wie seht ihr denn aus?«
    Erst jetzt fiel David auf, wie schmutzig ihre Sachen waren.
    »Wo habt ihr euch herumgetrieben?« Der Schlaf fiel vollends von ihr ab. »Kinder, ihr seht aus, als hättet ihr einen Geist gesehen.«
    Keiner sagte etwas.
    Miss Trodwood kniff die Augen zusammen, und wenn sie das tat, dann schien es, als könne sie direkt durch einen hindurchblicken. »Ihr
habt
doch keinen Geist gesehen, oder?«
    »Nun ja«, begann David. »Wenn Sie schon fragen . . .«
    »Ja«, vervollständigte Heaven den Satz.
    »Irgendwie schon.«
    »Es war eine Sie«, führte Heaven weiter aus. »Sie sagte, ihr Name sei Sarah Jane.«
    Und David fügte hinzu:»Ist eine lange Geschichte.«
    Miss Trodwood klappte ungeduldig das Buch zu, legte es auf den Tisch.»Ihr macht mir doch keinen Ärger?«Sie bedachte beide mit einem strengen Blick. »Ihr habt keine Drogen genommen?«
    Beide schüttelten energisch den Kopf.
    »Aber ihr behauptet, einen Geist gesehen zu haben.«Erneutes Nicken.
    »Einen richtigen Geist, wie bei Oscar Wilde?«
    Was blieb ihnen anderes übrig? Wieder nickten sie.»Verrückt, verrückt«murmelte Miss Trodwood.
    »Haben Sie auf uns gewartet?«fragte Heaven.
    »Nein«antwortete Miss Trodwood bestimmt.»Ich bin bloß länger als gewöhnlich auf den Beinen geblieben, das ist alles.«
    »Hm.«
    »Darf Heaven . . .?«
    Miss Trodwood kam ihm zuvor.»Natürlich darf sie hier übernachten. Sie ist auf unsere Hilfe angewiesen, nicht wahr?«Heaven zugewandt ergänzte sie:»Wir haben über die ganze Sache gesprochen.«Und gespielt tadelnd sagte sie: »Wie konntest du nur annehmen, dass ich etwas dagegen hätte, David?« Sie zwinkerte Heaven zu und erhob sich aus dem Sessel.»Aber eure Geschichte, wie lang und wie seltsam sie auch sein mag und ob ein Geist darin vorkommt oder nicht, sie muss bis morgen warten. Ich bin eine alte Frau und brauche meinen Schlaf. Ich bin lange genug aufgeblieben. Ihr seid wieder hier, nur dessen wollte ich gewiss sein, und es geht euch gut.«
    »Ich . . .«
    »Warum hast du auch kein Handy bei dir?«
    David antwortete wahrheitsgemäß:»Ich mag keine Mobiltelefone.«
    Heaven musste lachen und David verstand, was sie meinte. Nach all dem, was sie gerade an gefährlichen und seltsamen Situationen erlebt hatten, fühlte es sich gut an, von Miss Trodwood wegen so etwas Banalem wie einem Mobil-telefon getadelt zu werden. Und es war schön zu wissen, wie sehr sie sich gesorgt hatte.
    »Und nun«fuhr sie fort,»entschuldigt mich bitte. Meine Laune wird morgen

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