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Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition)

Titel: Hector fängt ein neues Leben an: Roman (Hector Abenteuer) (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: François Lelord
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gehabt, in Paris eine Stelle zu bekommen, sondern bestenfalls in einem Vorort weit außerhalb.
    »Aber was ich liebe, das ist Paris«, sagte Hector und merkte plötzlich, dass er dieselben Worte verwendet hatte wie Roger.
    Der alte François verzog die Mundwinkel und legte den Kopf ein wenig zur Seite, was bedeuten sollte: »Selbstverständlich, daran kann man nicht rütteln.«
    Der Kellner hatte die Vorspeise abgeräumt und trug nun das Hauptgericht auf, den Kalbskopf.
    Der alte François häufte sich mit sichtlichem Appetit die Scheiben von Zunge, Hirn, Knorpel und Muskeln auf den Teller, zu denen es gedämpfte Kartoffeln gab, die tatsächlich noch dampften. So konnte man sich den Kopf des Kalbes zum Glück nicht mehr vorstellen. »Jedes Mal, wenn ich dieses Gericht wähle, schrecke ich einen Moment davor zurück«, sagte er. »Haben Sie schon mal so ein Kälbchen gesehen?«
    »Natürlich«, sagte Hector und fragte sich, ob man denn ausgerechnet jetzt darüber reden musste.
    »Aber es schmeckt dermaßen gut, dass ich nicht widerstehen kann. Ich pfeife auf meine Skrupel, für ein paar Augenblicke jedenfalls …«
    Eine Zeit lang saßen sie schweigend da und aßen, denn der Kalbskopf durfte nicht kalt werden, wenn die Sauce Gribiche sich richtig mit ihm verbinden sollte.
    »Wissen Sie«, meinte der alte François dann, »ich bin mir sicher, dass man den Verzehr von Säugetieren einige Generationen nach uns ebenso barbarisch finden wird, wie unsere Generation die Sklaverei abstößt. Dabei haben unsere Vorfahren sie noch völlig normal gefunden.«
    »Und was ist mit Fisch?«
    »Das wird vielleicht noch ein paar Generationen länger dauern … und dann bleiben uns ja immer noch Austern und andere Schalentiere!«
    Der alte François sprach von dieser fernen Zukunft so, als würde er sie selbst noch erleben. Es war zwar nur eine Redensart, aber als Hector auf seine Hände schaute, die kaum Falten hatten, fragte er sich wirklich, ob sein Kollege nicht auf ein gut gehütetes Geheimnis anspielte.
    »Ich finde, Sie sind unglaublich gut beieinander«, meinte er schließlich.
    »Ah, denken Sie?«, sagte der alte François und schaute Hector an.
    »Ja, man könnte sogar sagen, dass Sie immer jünger werden.«
    Der alte François blickte Hector unverwandt an und schien zu überlegen, was er ihm antworten solle. Plötzlich entfuhr seiner Brust ein leises, silberhelles Geräusch.
    Es war sein Handy, er zog es aus der Brusttasche, und sein Gesicht hellte sich auf. »Ophélie! … Aber ja doch, gesellt euch zu uns!«
    Hector versuchte, nicht auf die Woge von Wohlgefühl zu achten, die ihn plötzlich durchströmte. Aber es klappte nicht, denn vielleicht war auch er nicht besonders begabt für Verleugnung.
    »Die beiden kommen aus dem Theater«, sagte der alte François.
    »Die beiden?!«
    »Ophélie und ihr Verlobter. Na ja, eigentlich sind sie nicht verlobt, aber ich weiß nicht, wie man es heutzutage nennt – ihr Boyfriend? Warum aufs Englische zurückgreifen? Ihr Freund? Ihr Macker? Was für lächerliche Ausdrücke, wenn man bedenkt, dass die Liebe eine tragische Angelegenheit ist. Ihr Geliebter? Das klingt wieder zu technisch. Jedenfalls sehnt sich dieser junge Mann nach nichts anderem, als Ophélies Verlobter zu werden. Er wäre übrigens eine gute Wahl …«
    Hector war erleichtert. Wenn es diesen künftigen Verlobten gab, war das doch ein beruhigendes Zeichen dafür, dass sich Ophélie keinesfalls zu angehenden Greisen hingezogen fühlte.
    »Und im Übrigen, lieber Freund, wollte ich Ihnen noch dafür danken, dass Sie Ophélie ein wenig Zeit gewidmet haben. Sie war sehr zufrieden mit dem Interview!«
    »Es war mir wirklich ein Vergnügen …«
    Der alte François betrachtete Hector mit nachdenklicher Miene. »Aber ich glaube, dass Sie ihr noch weiter helfen könnten, indem Sie ihr die Psychiatrie vor Ort zeigen, die mit den Sozialfällen, den chronischen Psychotikern, wissen Sie, was ich meine?«
    »Ja, natürlich.«
    »Ophélie ist ein wunderbarer Mensch, aber manchmal sage ich mir, dass sie ein wenig zu behütet groß geworden ist … Ausgenommen natürlich den Tod ihres Vaters … Ein Bootsunglück, hatte ich Ihnen das erzählt?«
    Und der alte François berichtete ihm, wie mitten in der Nacht ein schlecht gesteuerter Trawler die hübsche Segeljacht versenkt hatte, auf der Ophélies Vater und seine Freunde unterwegs gewesen waren. Statt sich selbst zu retten, war er in die Kabine hinabgeklettert, um den übrigen

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