Heidelberger Lügen
Nachmittag schleppte sich hin mit Routinekram. Sönnchen rechnete meine Statistik nach, fand zu meiner Verwunderung nur einen einzigen Fehler und schickte die Datei später zusammen mit einer längeren Ausrede per Mail ans Innenministerium. Ich beantwortete Post, führte ein Gespräch mit Frau Doktor Steinbeißer, der leitenden Oberstaatsanwältin, über etwas, das ich schon nach einer halben Stunde wieder vergessen hatte, sprach mit meinen Mitarbeitern ihre Fälle durch und sehnte mich nach dem Feierabend.
Immerhin wurde es draußen im Lauf der Stunden nun doch heller, der Regen wurde schwächer, meine Müdigkeit dagegen nicht. Sönnchen kam mit dem Kaffeekochen kaum nach. Ich musste an jenen Amokläufer denken, der vor vielen Jahren in Australien eine Menge Menschen erschoss. Als Begründung erklärte er nach seiner Verhaftung: »I don’t like Mondays«. Heute war einer der Tage, an denen ich den Mann verstand.
Die Tür flog auf. Klara Vangelis stürzte herein. »Hörrle ist weg!«
Ich forderte sie mit einer Handbewegung auf, Platz zu nehmen. Sie blieb stehen. »Vor einer knappen Stunde. Auf der A 81, Raststätte Jagsttal. Er musste zur Toilette. Alles war streng nach Vorschrift, einer blieb im Wagen, zwei haben ihn begleitet. Hörrle ging aufs Klo, hat ein Weilchen gedauert. Irgendwann hat sich der Fahrer gewundert, wo sie bleiben. Seine Kollegen fand er bewusstlos im Gebüsch. Und Hörrle war verschwunden.«
»Können Sie Montage auch nicht leiden, Frau Vangelis?«, stöhnte ich.
Sie zog eine Grimasse. »Er muss zu Fuß in die Wälder sein. Sie haben Hubschrauber im Einsatz und Hunde. Weit kommt er nicht.«
»Bei diesem Wetter«, seufzte ich. »Man könnte Mitleid haben mit dem Mann.«
Vangelis kannte kein Mitgefühl. Sie reichte mir einen Schnellhefter. »Hier, der Obduktionsbericht im Fall McFerrin.«
»Irgendwas Neues?« Missmutig blätterte ich in der dünnen Akte.
Vangelis setzte sich nun doch. »Das kann man wohl sagen. Todesursache ist Genickbruch aufgrund äußerer Gewalteinwirkung.«
»Genickbruch? Gibt es irgendwelche Hinweise auf einen Kampf?«
Sie schüttelte den Kopf. »Der Angriff muss völlig überraschend gekommen sein. Er war vermutlich nicht einmal mehr zu einer Abwehrbewegung in der Lage. Zum letzten Mal gegessen hat er ungefähr drei Stunden vor seinem Tod, und zwar Rindersteak Café de Paris mit Pommes Dauphines und jungen grünen Bohnen. Dazu hat er anscheinend ein Viertel Rotwein getrunken. Das passt auch zum Alkoholgehalt in seinem Blut.«
»Sorte und Lage des Weins wissen wir aber noch nicht?«
»Ich werde im Labor nachfragen, inwieweit sie da Möglichkeiten sehen. Ich glaube aber kaum, dass uns diese Informationen wesentlich voranbringen würden.«
Dieser Montag war eindeutig nicht mein Tag.
Ich rief Balke hinzu, und wir diskutierten die neue Situation.
Als er von dem Genickbruch hörte, riss er die Augen auf. »Wissen Sie, wie Hörrle seine Frau getötet hat?« Er machte eine Pause und sah uns abwechselnd ins Gesicht. »Das Genick hat er ihr gebrochen! Und zwar mit der bloßen Hand! Ich wollte natürlich sagen, er steht im Verdacht …«
»Genau wie bei McFerrin also«, unterbrach ich ihn. »Das ändert natürlich einiges.«
Balke nickte eifrig. »Bei der Bundeswehr lernen die solche Sachen. Ich hab mich mal schlau gemacht, wie es funktioniert.« Er demonstrierte mir die erforderlichen Bewegungen an einem unsichtbaren Gegner. »Von hinten den Arm um den Hals, mit der anderen Hand den Kopf gepackt, ein kräftiger Ruck zur Seite und zack …«
Ich beugte mich vor. »Wie war das damals mit seiner Frau?«
»Sie hat vor dem Fernseher gesessen, und dort hat man sie am nächsten Morgen auch gefunden. Der Tod ist gegen Mitternacht eingetreten. Hörrle ist zweifelsfrei der Täter. Es gibt ungefähr tausend Beweise.«
»Hat er ein Geständnis abgelegt?«
»Das nicht. Er sagte aus, er sei erst nach zwölf heimgekommen, sturzbesoffen. Seine Frau soll auf dem Sofa gelegen haben, der Fernseher lief, er hat ihr eine gute Nacht gewünscht und ist schlafen gegangen. Erst am nächsten Morgen will er entdeckt haben, dass sie tot ist.«
»Und dann hat er die Polizei gerufen?«
»Ganz im Gegenteil. Getürmt ist er! Ist aber nicht weit gekommen. An der Grenze nach Tschechien wurde er festgenommen. Als Begründung gab er an, ihm würde ja sowieso niemand glauben.«
»Wie kommt er darauf?«
»Er hat eine hübsche Menge Dreck am Stecken. Während seiner Armeezeit hat es öfter Stress
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