Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Heidelberger Wut

Heidelberger Wut

Titel: Heidelberger Wut Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wolgang Burger
Vom Netzwerk:
mir endlich klar, was mir die ganze Zeit auf die Seele drückte: ich vermisste meine Töchter. Ich hatte keinen Appetit, keine Lust zu lesen, stand mir selbst im Weg, und Musik machte mich nervös. So ging ich schließlich laufen. Wenigstens ein bisschen, nahm ich mir vor. Aber es ging überraschend gut.
    Ich dachte an Jule Ahrens, das vergewaltigte Mädchen. Die Vorstellung, meinen Töchtern könnte Ähnliches zustoßen, war mir unerträglich. Und ausgerechnet jetzt würden die zwei sich nächtelang und ohne Aufsicht in irgendwelchen Spelunken herumtreiben. Ich kannte mich aus, schließlich war ich auch einmal jung gewesen. Damals nannte man solche Lustreisen noch Landschulheimaufenthalt, und es war ein Klacks gewesen, abends unbemerkt aus dem Fenster zu steigen. Ich merkte, wie ich bei der Vorstellung schneller und schneller lief.
    Längst hatte ich die Bahngleise und die Speyerer Straße überquert und die letzten Häuser hinter mir gelassen. Eine leichte Brise wehte mir entgegen, es duftete nach frischem Heu, und allmählich schwitzte ich meine schlechte Laune aus. Ein Kaninchen machte vor Schreck einen Luftsprung und raste davon, weil es mich zu spät bemerkt hatte.
    Dann quälten mich plötzlich Zweifel wegen Bonnie and Clyde. Hatte Vangelis vielleicht doch Recht? Noch war Zeit. Ich brauchte sie nur anzurufen und den Zugriff anzuordnen. Andererseits, auf dem Campingplatz waren wirklich zu viele Menschen für eine Gewaltaktion. Und was sollte schon passieren? Heute Nacht würden sie bestimmt nicht abreisen. Sie hatten keinen Grund dazu, außerdem mussten sie wirklich müde sein, und selbst wenn, sie standen ja unter Beobachtung. Morgen früh konnten wir dann in aller Ruhe darüber nachdenken, wie wir weiter vorgehen würden.
    Auch Theresa würde sich wieder beruhigen. Sie beruhigte sich immer irgendwann. Aus unserem Wochenende würde nun wohl nichts werden, aber es kamen andere Wochenenden, andere Möglichkeiten.
    Nur was meine Töchter betraf, wurden meine Phantasien mit jeder Minute finsterer. Die Frage war eigentlich nur, ob die russische Mafia oder albanische Mädchenhändler als Erste zugreifen würden. Hellhäutige, blonde Frauen waren überall begehrt. Vor allem, wenn sie zudem jung, hübsch und auch noch Jungfrauen waren.
    Kurz vor dem Pfaffengrunder Sportplatz ging mir die Puste aus. Mein Puls hämmerte, meine Lungen schmerzten, vor meinen Augen kreisten Sternchen, aber ich fühlte mich endlich besser. Zurück ließ ich mir Zeit. Ich hatte zu schwarz gesehen, weiß der Himmel, warum. Louise und Sarah würden gesund zurückkehren und mir vermutlich bereits nach einer Stunde genauso auf die Nerven gehen wie gestern Abend noch. Bonnie and Clyde würden heute Nacht keinen Unsinn anstellen. Mit Theresa musste ich reden, und alles würde sich wieder einrenken.
    Heute war eben einfach nicht mein Tag. So etwas kam vor.

7
    Den Donnerstag begann ich mit einem zweiten Kraftakt. Wenn ich am Abend laufen konnte, dann erst recht am Morgen. Wider Erwarten hatte ich blendend geschlafen, fühlte mich um zehn Jahre jünger und stark wie ein Ochse. Später stellte ich erfreut fest, dass ich sogar ein klein wenig abgenommen hatte, duschte ausgiebig und las die Zeitung von vorne bis hinten. Mein Handy war die Nacht über still geblieben. Also saßen weder meine Töchter in Westerland in Polizeigewahrsam, noch wurden sie in der Jugendherberge vermisst. Und auch Bonnie and Clyde hatten in Neckarhausen keine Dummheiten gemacht.
    Es war mir unbegreiflich, wie ich noch vor zwölf Stunden so schwarz hatte sehen können. Und wie konnte ich nur meine Töchter vermissen? Diese herrliche Ruhe in der Wohnung!
    Zur Feier des Tages ging ich die dreihundert Meter ins Büro zu Fuß. Sonst fand ich jeden Tag eine andere Ausrede, warum ich den Wagen nehmen musste. Einmal wollte ich nach der Arbeit noch einkaufen, ein anderes Mal sah es zu sehr nach Regen aus, und am dritten Tag war ich – zugegeben – einfach zu faul.
    Sönnchen betrachtete mich mit Wohlwollen, als ich leicht verspätet, aber gut gelaunt zum Dienst erschien. Mein Frühstück stand schon parat: Ein Kännchen Kaffee und zwei frische Croissants vom Bäcker an der Ecke. Während ich es mir gut gehen ließ, brach auch noch die Sonne durch. Vor den weit offenen Fenstern sangen Vögel. Das Leben konnte doch hin und wieder ganz schön sein.
    »Sommeranfang«, strahlte meine Sekretärin, die offenbar wieder ganz genesen war. Die Termine des Tages waren erträglich, mein

Weitere Kostenlose Bücher