Heidelberger Wut
unsterblich.«
»So sehe ich das auch.« Vangelis deutete mit säuerlicher Miene ein Nicken an. »Die beiden haben jeden Bezug zur Realität verloren. Sie halten sich für klüger als der Rest der Menschheit. Und gerade das macht sie so gefährlich.«
Mir flinken Händen breitete sie eine detaillierte Karte auf meinem Schreibtisch aus. »Hier. Der Platz zieht sich wie ein Schlauch etwa dreihundert Meter am Neckar entlang. Links der Fluss, rechts etwa zwei Meter erhöht die Bundesstraße. Die Böschung ist voller Gestrüpp, in diese Richtung werden sie kaum zu fliehen versuchen. Sie haben ihr Zelt ganz am Ende des Platzes aufgeschlagen, direkt am Ufer. Dahinter gibt es noch einen Fußweg. Wie weit der führt, weiß ich momentan noch nicht. Ich habe vorsorglich zwei Kollegen eingeteilt. Sie organisieren sich gerade eine Campingausrüstung und werden die beiden im Auge behalten.«
»Was schlagen Sie vor?«
»Wir warten, bis sie schlafen, und dann schlagen wir zu. Viel Gegenwehr werden sie nicht leisten. Die beiden werden sehr müde sein nach der langen Fahrt.«
»Aber sie sind garantiert immer noch bewaffnet!«, meinte Balke warnend.
Was wollten die beiden hier? Dass sie zurückkamen, verstieß gegen jede Logik. Andererseits – da hatte Vangelis Recht – die zwei lebten vermutlich längst ihre eigene Logik. Sie hatten sich völlig abgeschottet gegen die Realität und waren inzwischen davon überzeugt, vom Schicksal begünstigt zu sein. Ihr Anfängerglück hielten sie für Talent. Das Mädchen himmelte Kräuter an, und er gefiel sich darin, sie durch immer gewagtere Aktionen in immer neues Erstaunen zu versetzen. Bestimmt hatten sie seit Wochen mit keinem Dritten mehr gesprochen, eingeschlossen in ihrer eigenen kleinen Kuschelwelt. Niemand hatte eine Chance gehabt, an dieser von Tag zu Tag höher werdenden Mauer aus Illusion und Größenwahn zu kratzen, mit der sie sich umgaben.
»Mir fällt nur eine plausible Erklärung ein für ihre Rückkehr«, meinte ich.
»Sie wollen sich mit dem dritten Mann treffen«, sagte Vangelis.
»Aber wozu?«, fragte Balke.
»Um die Beute aufzuteilen«, schlug ich vor. »Vielleicht hatten sie nach dem Überfall keine Gelegenheit dazu. Vielleicht wollten sie mit so viel Bargeld im Kofferraum nicht über die Grenzen fahren und haben es irgendwo in der Nähe versteckt. Jetzt denken sie, es ist genug Zeit verstrichen, und die Luft ist rein.«
Obwohl Vangelis Bedenken hatte, ordnete ich an, Bonnie and Clyde vorläufig nur zu beobachten. Ein Zugriff auf dem Campingplatz war ohnehin zu gefährlich, das gab sogar Vangelis zu. Und wenn wir ein bisschen Glück hatten, dann führten sie uns wirklich zu ihrem Informanten, und wir konnten alle drei auf einen Schlag festnehmen.
Sönnchen hatte Unrecht. Obwohl ich später in der Kantine mit Widerwillen doch noch einen Salatteller hinunterschlang, hellte sich meine Stimmung an diesem Tag nicht mehr auf. Theresa meldete sich nicht. Von meinen Töchtern kam ebenfalls kein Lebenszeichen. Und je mehr Zeit verstrich, desto heftigere Zweifel beschlichen mich, ob es nicht doch besser wäre, Bonnie and Clyde so rasch wie möglich aus dem Verkehr zu ziehen.
Um kurz vor fünf teilte Klara Vangelis mir mit, die Überwachung unseres Räuberpärchens stehe nun lückenlos. Zwei junge Kollegen waren mit ihren privaten Trekking-Bikes nach Neckarhausen geradelt und hatten nicht weit von den beiden ihre kleinen Zelte aufgeschlagen. Neben der Ausfahrt des Campingplatzes stand seit zwei Stunden ein zivil aussehender Lieferwagen mit zwei weiteren Kollegen darin. Bonnie and Clyde würden uns in ihrem bei Montpellier gestohlenen weißen Renault mit französischem Kennzeichen nicht so leicht abhanden kommen wie den Spaniern.
Um halb sechs endlich eine Mail von Theresa. Sie entschuldigte sich tausendmal. Sie hatte gestern überraschend Besuch erhalten von einer alten, fast vergessenen Freundin. Ich schrieb zurück, dass man sich erstens nicht selbst entschuldigen könne, man zweitens trotz Besuch Mails oder SMS schreiben könne und sie drittens gefälligst dafür sorgen solle, dass ihr Mann am Wochenende verreist sei.
Natürlich war sie beleidigt, und ich fand das ganz in Ordnung.
Selbst Sönnchen war irritiert von meiner schlechten Laune, und um ein Haar wäre ich grob geworden, als sie mich fragte, was mir denn bloß über die Leber gelaufen sei. Ich redete mich darauf hinaus, ich hätte in der vergangenen Nacht einfach zu wenig geschlafen.
Zu Hause wurde
Weitere Kostenlose Bücher