Heidelberger Wut
sie mit einer Glaskanne und zwei Gläsern zurückkam, fehlten zwei der Zahnstocher.
Wir tranken zusammen ein wenig Wasser und unterhielten uns über unsere Kinder. Aus irgendeinem Grund war sie überrascht, als sie erfuhr, dass ich zwei Töchter hatte, wollte dies und jenes wissen. Sie erzählte mir von ihrem Sohn, zu dem sie eine enge Bindung zu haben schien.
»Was ist eigentlich mit seinem Bein?«, fragte ich. »Ein Unfall?«
Sie nickte. »Er war siebzehn. Mit dem Moped. Er hat nicht aufgepasst, ist bei Rot über eine Ampel gefahren und unter einen Lastwagen geraten. Er hatte so viel Glück, dass er überlebt hat.«
Wir kamen auf ihren früheren Beruf zu sprechen.
»Ach ja, das Theater«, seufzte sie mit leisem Lächeln. »Das ist lange her. Leider fehlt mir die nötige Härte, um Erfolg zu haben. Harry sagt es auch immer. Ich bin so leicht umzuwerfen, und in diesem Gewerbe braucht man vor allem Standfestigkeit. Und einige weniger positive Eigenschaften sind auch nicht schädlich. Aber ich trauere der Zeit nicht nach. Es ist gut, wie es ist.«
Es war unverkennbar, dass sie selbst nicht an ihre Worte glaubte.
Bevor ich zu meinem Wagen ging, sah ich mich noch einmal um. Es war wirklich ein Kinderspiel, vom Grundstück der Brauns zu Seligmann hinüberzuklettern. Der kräftige Drahtzaun war kaum mehr als einen Meter hoch, ein trainierter Mann wie Braun schaffte das mit einer Flanke. Und die Gefahr, dabei gesehen zu werden, war gering. Seligmanns Grundstück stand voller Bäume und Gestrüpp.
Gegenüber gab es nur ein Haus, von dem aus man den ganzen Zaun überblicken konnte, auch den hinteren Teil. Das waldgrüne Haus der Nachbarn, die offensichtlich immer noch in Urlaub waren. Die Rollläden waren heruntergelassen, aus dem Briefkasten quoll Werbung. Genau so, wie man es machen soll, wenn man Einbrecher anlocken möchte. Diesmal entdeckten mich Seligmanns Belagerungstruppen. Aber außer dass sie mich im Auge behielten, geschah nichts.
Wäre Céline Piaget nicht schwarzhaarig gewesen, sie hätte exakt dem Klischee des verführten blonden Dummchens entsprochen. Wir trafen sie auf der Terrasse der Vereinsgaststätte des TC Blau-Weiß Leimen im Schatten bunter Sonnenschirme.
Während der Hinfahrt hatte Balke mir noch ein paar letzte Neuigkeiten mitgeteilt.
»Also erstens, ihr Cabrio hat Braun zwei Wochen nach dem Bankraub gekauft. Der Händler wollte erst nicht recht mit der Sprache heraus. Ich bin ihm dann ein bisschen auf die Zehen gestiegen, und dann hat er zugegeben, dass Braun den Wagen cash bezahlt hat.«
Er setzte den Blinker und überholte einen Traktor, der in die Römerstraße in Richtung Süden bullerte. Augenblicke später hingen wir hinter einem Bus, der kaum schneller fuhr. Rechts zog das nicht enden wollende amerikanische Kasernengelände vorbei. Scharf bewacht von schwer bewaffneten und ein wenig kampfmüde dreinschauenden Soldaten in tarnfarbenen schusssicheren Westen.
»Zweitens: Die süße Céline war genau zwei Tage nach dem Überfall in Luxemburg«, fuhr Balke fort, als er endlich auch den Bus hinter sich gelassen hatte. Wir passierten das US Army Hospital, das Heidelberger Ortsschild, und Balke trat das Gaspedal durch. »Morgens mit dem Zug hin, abends zurück. Das weiß ich von einer Nachbarin, die eifersüchtig ist, weil Céline ständig Männerbesuch kriegt und sie nicht.«
»Was hat sie dort gemacht?«
»Ich habe keinen Schimmer.« Schon kamen die ersten Häuser Leimens in Sicht und die alles überragende Zementfabrik. »Aber ich würde meinen Hintern darauf verwetten, dass sie ungefähr eine Dreiviertelmillion Euro auf irgendein Nummernkonto eingezahlt hat.«
»Gibt’s denn Nummernkonten in Luxemburg?«
»Keine Ahnung«, brummte Balke. »Abzüglich des Geldes für das Cabrio natürlich. Dreiundzwanzigtausend hat das Teil gekostet.«
Fünf Minuten später stiegen wir auf dem weitläufigen Parkplatz vor der Boris-Becker-Halle aus unserem Audi. Wir hatten Frau Piaget überraschen wollen, und die Überraschung gelang über alle Erwartung gut.
»Polizei?«, fragte sie mit großen, bergseeblauen Augen und nahm durch einen dicken Strohhalm einen langen Zug aus ihrem vielfarbigen Drink. »Isch ’aben etwa falsch geparkt?«
Um das süße Bild komplett zu machen, sprach Céline Piaget mit einem französischen Akzent, der sie problemlos für die Bierwerbung qualifiziert hätte, wo es so schön in »die Bauchnaböl prickält«. Balke hatte Recht, sie war eine Schönheit mit
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