Heidenmauer
und stand schließlich in einem großzügigen Raum, dessen Fenster nach Osten, zum Park hin wiesen, und der wegen des Schimmern des Sees, das durch die Lücken zwischen den Baumstämmen drang, etwas Lebendiges und gleichzeitig Beruhigendes hatte. Ein Mann, etwa Anfang vierzig, leger, dennoch edel gekleidet, empfing ihn freundlich und bat Schielin, in einem der Sessel Platz zu nehmen. Kaffee, Tee, Wasser, Soda – Schielin lehnte freundlich dankend ab.
Der Mann stellte sich als Thomas Borgghes vor. Voller Gelassenheit lehnte er sich in die stützenden Polster zurück und schlug die Beine übereinander. Entspanntes Selbstbewusstsein, nicht unsympathisch. Ein interessiertes Lächeln lag auf seinem Gesicht. Keine Frage, dachte Schielin, dieser Mensch ist tatsächlich gespannt und amüsiert zugleich, einen leibhaftigen Polizisten zu empfangen, und verströmte auf eine angenehm natürliche Weise Souveränität. Schielin wartete auf die Frage, die sogleich mit jovialem Unterton daherkam: »Wie kann ich der Lindauer Kriminalpolizei behilflich sein?«
Schielin registrierte, dass dieser Borgghes sich, während er sprach, nach vorne beugte, was der Frage trotz der burschikosen Art auch Ernsthaftigkeit gab und Arroganz gar nicht erst aufkommen ließ. Ein Mann, der weiß, wie er wirkt, dachte Schielin und kam sofort zur Sache.
»Kennen Sie einen Günther Bamm, Journalist und Publizist.«
Thomas Borgghes lehnte sich wieder zurück. »Selbstverständlich kennen wir Herrn Bamm.«
»Woher kennen Sie ihn?«
Thomas Borgghes hatte die Hände locker gefaltet im Schoß liegen. Während er sprach, öffneten sich seine Handflächen. Das war die einzige Bewegung, die er vollzog.
»Herr Bamm ist in den letzten Wochen einige Male hier bei uns gewesen und hat für eines seiner neuen Bücher recherchiert. Er ist gerade mit der Arbeit an einem neuen Buch beschäftigt, das sich mit dem Lebensweg von Gemälden beschäftigt, wie Sie vielleicht wissen. Eines der Gemälde unserer Familie hat da eine sehr interessante Geschichte, und die wird in diesem Buch erzählt.«
»Und Herr Bamm war hier und hat Sie zur Geschichte dieses Bildes befragt.«
»Na ja, mich eigentlich weniger. Ich kenne die Geschichte auch nur vom Erzählen. Sie kennen sicher Familienfeiern, die ganze, oder ein Teil der geliebten, geduldeten oder gelittenen Verwandtschaft trifft sich, und irgendwann, gleich einem Ritual, werden die Geschichten erzählt. Es sind die immer gleichen, man hört sie als Kind, als Jugendlicher, als Erwachsener, und obwohl man sie kennt, in und auswendig, man hört sie immer wieder gern, denn sie geben einem ein Stück Heimat, ein Stück Vertrauen. Mir geht es jedenfalls so – sie gehören zu einem wie ein Möbelstück, das einem lieb geworden ist, selbst wenn man mit den Verwandten so seine Schwierigkeiten hat. Sie vermitteln etwas Wohliges und geben einem das Gefühl für Geschichte, für die Dimension der eigenen Familiengeschichte.«
Schielin lächelte, Thomas Borgghes brach ab und lachte. »Entschuldigen Sie, ich halte Monologe. Zu Ihrer Frage: Herr Bamm hat meine Mutter hier mehrmals getroffen. Sie hat diese Termine geliebt, denn endlich war jemand gefunden, der ihren Geschichten zugehört hat und für den diese Geschichten etwas Neues waren. Es ging ganz konkret um ein großes Ölgemälde, das eine Familie unserer Vorfahren mütterlicherseits zeigt. Es hängt oben, im großen Saal. Ich zeige es Ihnen gerne. Wir … also unsere Familie … verbringen hier jährlich einige Wochen im Spätsommer am Bodensee. Wenn wir wieder zurück zu unserem Familienstammsitz nach München gehen, wird hier ein großes Fest gegeben. Nächste Woche wird das sein. Herr Bamm ist auch eingeladen worden.« Er unterbrach kurz und setzte neu an. Nun klang er sehr sachlich, das Amouröse, was seinem bisherigen Erzählen angehaftet hatte, war verschwunden. »Es würde mich schon sehr interessieren, weshalb Sie mich nach Herrn Bamm fragen?«
»Herr Bamm wurde in der Nacht von Sonntag auf Montag im Lindauer Stadtgarten erschlagen. Das ist der Grund, weswegen ich hier bin. Wir versuchen, mehr über Herrn Bamm zu erfahren, und dabei ist seine letzte Arbeit von einigem Interesse für uns.«
Aus Thomas Borgghes Gesicht war jegliches Lässige gewichen. Seine Augen waren schmal geworden, sein Gesicht fahl und die Lippen lagen gepresst aufeinander. Schielin sagte nichts und wartete.
Nach einigen Augenblicken sagte Borgghes: »Das ist eine furchtbare Nachricht, und es wird
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