Heidenmauer
und Wenzel kamen fast gleichzeitig an der Stelle an, an welcher der Kerl verschwunden war. Zu hören war nichts. Der Wind blies nur leicht und ab und an in zartem Aufflackern, doch trotzdem schlugen die Wellen ein beständiges Rauschen in die Nacht. Im matten Lampenschein unten in der Oskar-Groll-Anlage sahen sie die Gestalt rennen und irgendwo auf Höhe der Südseite der Maxkaserne verschwinden. Schielin spurtete zurück zur Schmiedgasse, gefolgt von Lydia und Wenzel. Der schickte Funk, Gommert und Jasmin Gangbacher um die Ecke in die Zwanzigerstraße. Sie sollten sich verteilen und die strategisch wichtigen Punkte besetzen. Beschreibung: Mann mit Mantel, Mütze, schlank und sauschnell. Dann folgte er Schielin und Lydia in die Fischergasse.
Schielin sah gerade noch, wie ein dunkler Fleck im Bäckergässele verschwand. Ein Auto kam langsam die Fischergasse entlanggefahren und bremste. Die rennenden Gestalten hatten den Fahrer verunsichert. Schielin verlangsamte und ging mit einigem Abstand um die Ecke. In eine Falle wollte er nicht direkt rennen, denn niemand wusste, mit wem sie es zu tun hatten. Sobald er sicher war, rannte er los. Von der Südseite der Stephanskirche hörte er Wagentüren schlagen, ein Motor wurde angelassen. Als er oben ankam, sah er einen alten Passat langsam aus der Parklücke rangieren. Eine Frau fuhr. Lydia und Wenzel hatten nun aufgeschlossen und kontrollierten die dunklen Lücken zwischen den geparkten Autos. Vom Stiftsplatz vorne schallte das fröhliche Lachen einer Gruppe gut gelaunter Pärchen, das in den dunklen Gassen verschwand, der Passat zog langsam vorbei, und die Reifen gaben ein schmatzendes Geräusch von sich. Die Turmuhr von St. Stephan schlug – alles drang wie von weit entfernt an Schielins Ohr, in dem der Puls laut schlug und die Geräusche seines eigenen, heftigen, aufgeregten Atems dominierten. Für einen kurzen Augenblick war es still. Schielin drängte sein pochendes Herz zurück – lauschte und roch. Ein kühler Dunst hing über der Insel, das Kopfsteinpflaster glänzte von Feuchte und der See – man konnte ihn nun hören und riechen.
Es war eine Nacht in einer Stadt am Wasser, wie man sie niemals an anderen Orten erleben konnte. Ein Fluss, gleich wie mächtig, war nicht dasselbe. Der See reichte weiter, als bis zu den Ufermauern, er war zwischen den dunklen Hauswänden und über den Dächern. Schielin hörte in seinem Rücken Wenzel mit Lydia flüstern und eilte weiter zum Marktplatz und tatsächlich, drüben, jenseits des Neptunbrunnens war noch zu sehen, wie ein wehender Mantel im Tor eines Hauses verschwand – das Haus zum Baumgarten war es, dessen neunachsige Fensterfront dem Hotel zum Stift zuwies. Schielin spurtete los. Eigentlich müssten Funk, Gommert und Jasmin Gangbacher auf dieser Seite Posten bezogen haben, zumindest aber jenseits der Häuserfront Auf der Mauer. Am Tor angekommen, reduzierte er die Geschwindigkeit, um besser hören zu können, denn von drinnen vernahm er schnelle Tritte. Schielin musste das Tor nicht aufziehen, um zu wissen, wie es drinnen aussah. Links führte ein Treppenaufgang nach oben, und rechts ging es unter einem Gewölbe geradewegs weiter, durch ein Rundtor in den Innenhof. Schnell zog er die Tür auf und sprang hinein. Es war halbdunkel, und der schwarze Mantel der Gestalt wehte wild und schien dunkler als die Nacht, was dem Kerl etwas noch Bedrohlicheres gab. Wieso hielt er sich hier auf? Schielin gab alles, machte zwei, drei Sätze und versuchte, den Mantel zu greifen, denn der Flüchtige musste stoppen, um das Tor zum Innenbereich aufzuziehen, das sich nach innen hin öffnete. Geschmeidig glitt die Gestalt durch den schmalen Spalt. Schielin wollte im Halbdunkel folgen, sah aber nicht, wie sich das alte Holztor mit nahezu hydraulischer Präzision ins Schloss zog. Er stob weiter, ganz im Jagdfieber, prallte an den Holzrahmen, rutschte weg und knallte auf den Steinboden. Noch bevor die anderen beiden bei ihm angekommen waren, hatte er sich wieder aufgerappelt und jagte nun doppelt so wild weiter in den Hinterhof. Er hoffte, dass entweder Lydia oder Wenzel den Weg durch die Neugasse nehmen würden, um diesen Weg abzuschneiden. Durch ein wild überwuchertes, gemauertes Tor hin hetzte er in Richtung der schmalen, eckigen Tür, die den Ausgang zum alten Befestigungsstück bot, das Auf der Mauer genannt wurde. Er schrie erneut auf, als er bremsen wollte. Schlagartig war die Tür nach innen aufgeschlagen worden, und eine Gestalt
Weitere Kostenlose Bücher