Heidenmauer
altmodische Weise Kaffee zuzubereiten, und alle fragten sich, was eigentlich der Grund war, auf diese teuren, modernen Monster zu schwenken. Das Koffein beflügelte die Körper, und Robert Funk berichtete von seinem Ausflug in den Speicher, der ihn hinsichtlich seiner Erinnerung an das Gemälde zwar nicht weitergebracht, aber doch die Tür zu vielen Geschichten aus der Vergangenheit geöffnet hatte; und so erzählte er von früher, und es wurde später und immer später. Am Ende eines langen Tages meinte Schielin, dass er doch noch mal auf die Insel wolle, um bei Dunkelheit die Örtlichkeit zu inspizieren. Man war sich schnell einig, ihn nicht alleine gehen zu lassen, und besprach sich eine halbe Stunde später im Sünfzen, wie es sich für Patrizier gehörte.
Es war drei Stunden später, auf dem Rückweg, Schielin war mit Adolf Wenzel ein Stück voraus, als sie vorbei am Haus zum Cavazzen und der Stephanskirche zur Heidenmauer unterwegs waren. Vorne, am Zugang zum Kreisverkehr, bestaunte Adolf Wenzel Teppiche und Steine, die von Halogenstrahlern in Szene gesetzt in den Schaufenstern lagen – gegenüber wie ein unseliger, alter Fels – die Heidenmauer.
Schielin wartete auf die Nachzügler. Robert Funk und Erich Gommert amüsierten sich prächtig mit den beiden Kolleginnen. Als Schielin über die Straße hinweg zu der Stelle sah, wo man Günther Bamm gefunden hatte, bemerkte er eine Gestalt, die sich aus dem Schatten einer der mächtigen Platanen löste. Er sah den Schatten nur kurz, aber doch lang genug, um die befremdliche Weise zu bemerken, wie er sich bewegt hatte – geduckt. Er blieb stehen, um genauer sehen zu können. Gerade tauchte die Gestalt wieder aus dem Schatten der Baumstämme in das matte Licht der Lampen. Schielin ging einige Schritte weiter und reckte sich. Der dunkle Fleck schlich gebückt am Ufer des Kleinen Sees entlang. Von der Stelle aus, an der sich Schielin befand, hatte er kein freies Sichtfeld. Immer wieder traten die dunklen Stränge der Baumstämme zwischen die lichten Flecken. Zu erkennen waren ein langer Mantel oder Kittel und eine Kappe. Haare waren nicht zu sehen. So kalt ist es doch nun auch nicht, dachte Schielin und drehte sich kurz zu Adolf Wenzel um, der immer noch am Schaufenster stand. Wieder dem Kleinen See zugewandt, stellte er fest – der Schatten war verschwunden. Er machte einige Schritte hinüber und trat zwischen die Bäume, da sah er ihn wieder. Bewegungslos stand der Kerl unten am Geländer. Schielin drehte sich wieder zu Wenzel herum und pfiff leise. Aus der Schmiedgasse war Lydia Nabers frohes Lachen zu hören, langsam kam ein Auto über die Seebrücke – Schielin hatte sich mehr von den Scheinwerfern erhofft. Es bog in den Kreisverkehr ein und fuhr weiter in Richtung Inselhalle. Als Wenzel sich endlich umdrehte, winkte Schielin ihn zu sich.
»Wo genau lagen diese Papierchen und das Bonbon, Wenzel!? Da unten schleicht so eine seltsame Type rum.«
Sie gingen beide mit raschen Schritten durch die Bäume vorbei am Kriegerdenkmal.
Schielin rief ein lautes »Hallo!« in Richtung des Schattens. Wenzel stutzte kurz und legte noch einen Schritt zu. Die Gestalt richtete sich langsam auf, sah ruhig in Richtung der beiden Männer, scheinbar überrascht oder voller Gelassenheit – dann ging es los. Ein Knirschen war zu hören, als der Schatten antrat. Erst rannte er ein paar Schritte auf Wenzel zu, kehrte dann abrupt nach rechts, auf die Inselhalle zu, änderte aber sofort wieder seine Richtung und rannte den Weg zur Spielbank davon. Schielin schrie »Halt!«, verzichtete auf das weitere Wort »Polizei« und spurtete zusammen mit Wenzel los.
Der bellte einige Male ein neutrales, aber bedrohlich klingendes »Hey! Hey!« heraus. Die Gestalt war flink und schnell, flog über die Straße zur Seite der Spielbank hin. Wenzel versuchte, ihr den Weg abzuschneiden, doch er hatte keine Chance, auch nur in die Nähe zu kommen.
Mit wehendem Mantel rannte der Flüchtige in Richtung Schmiedgasse, zog aber dann nach links, den Wall hoch.
Wenzel und Schielin folgten ihm mit etwa zwanzig Metern Abstand. Oben im Seniorentreff Wallstüble brannte noch Licht. Muntere Senioren, dachte Schielin beim Vorüberrennen, und rief laut »Halt! Polizei!«
Der Kerl zauderte am Metallzaun nicht lange, schwang sich elegant über das Geländer und verschwand im Dunkeln. Von hinten kamen Lydia und Jasmin Gangbacher aus der Schmiedgasse gerannt. Das Schreien der beiden hatte sie alarmiert.
Schielin
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