Heidenmauer
ist einfach an mir vorbeigegangen, ohne zu ahnen, dass ich da war.«
»Sie klingelten an der Tür von Mirabeau Sehender«, sagte Lydia Naber.
»So heißt sie wirklich?«, kam es verwundert von Hedwig Kohler.
»Ja, so heißt sie.«
»Ja. Ich habe an der Wohnung geklingelt. Die Tür öffnete sich sofort, und ich weiß noch, wie erschrocken ich war.«
»Was geschah dann?«
»Es war dunkel. Im Gang und auch als die Wohnungstür aufging. Da war kein Licht, das aus der Wohnung her gekommen wäre. Ich schlug einfach in das Dunkel, einige Male.«
»Womit?«
»Es war so ein rundes Holz.«
»So ein rundes Holz«, wiederholte Lydia Naber, »wo hatten Sie es her?«
»Wie gesagt, es war schon dunkel, als ich die Treppe hochgegangen bin. Ich habe mich zeitweise eher hochgetastet. In einer Ecke des Treppengeländers, da lehnte der Stock. War wohl einer der Geländerstücke, oder so.«
»Wo genau war dieses Holzstück, ich meine, auf welcher Höhe der Treppe, und was haben Sie mit dem Ding gemacht?«
»Soweit ich mich erinnere, in der letzten Kehre vor der Wohnung. Ich habe das Ding dann weggeworfen.«
»Wo?«
»Ich weiß es nicht mehr. Ich hab’s aus dem Auto geworfen, als ich schon wieder fuhr, schon nicht mehr auf der Insel.«
»Wo haben Sie Günther Bamm aufgelauert?«
Hedwig Kohler lachte kurz auf. Böse und resigniert. »Wirklich nicht. Ich habe ihn nicht mehr gesehen.«
»Das klingt wenig glaubhaft, denn Sie haben Mirabeau Sehender äußerst brutal attackiert.«
Hedwig Kohler nickte. »Ja. Sie hat alles abbekommen. Den ganzen Frust. Aber ich habe nicht gesehen, wer da im Dunkel stand, es war ganz eigentümlich.«
»Sie verstehen, dass Sie mit uns kommen müssen.«
»Ja.«
»Was ist mit den Kindern?«
»Die habe ich schon zu meiner Schwester nach Nonnenhorn gebracht.«
*
Schielin hatte vom Zug aus Wenzel angerufen und gebeten, dass er ihn am Bahnhof abholen sollte. Mit dem Fahrrad würde jetzt alles zu lange dauern. Er hatte im Gang telefoniert und setzte sich wieder in den Großraumwagen des Eurocity. Er war zu zwei Dritteln gefüllt. Die schweizerischen Zuggarnituren rollten mit einem leisen Brausen über die Gleise. In der Bregenzer Bucht war noch immer graues Einerlei, und der Horizont hinter den Wellen verlor sich, als ende die Welt im Westen. Schielin dachte an die Mainau und die Dahlien. Welche würde wohl dieses Jahr den Publikumspreis gewinnen?
Einige Sitze hinter ihm klingelte ein Handy. Es wurde immer lauter. Die Erleichterung über das Ende des Klingelns mündete im Erschrecken über die aufdringliche Männerstimme, die durch den Waggon schnitt. Keine Stimme, die in einem Chor als Bass oder Tenor zu gebrauchen gewesen wäre, vielmehr so etwas wie ein Männer-Alt. Schon die ersten knappen Worte vibrierten aufgeregt und hysterisch. Es war die Aggressivität hinter den Sätzen, die der Mann laut und ungehemmt in den Waggon plärrte, die so ungemein abstoßend war.
Nach dem ersten »Ja, Schemmerle«, und der Wiederholung »Ja, Schemmerle«, legte der Unbekannte richtig los. Erst wichtigtuerisch: »Ja, das Meeting war schon notwendig, aber wenn ich nicht die Zügel angezogen hätte, also da musste man schon darauf achten, dass das da nicht verquatscht wurde. Der Müller und die Weser … ich weiß gar nicht, aus welchem Grund die vom Vertrieb so protegiert werden, aber nun gut, es ist nun mal so. Ich habe … ja, der war auch dabei … ich habe jedenfalls dem Doktor Adler eine Mail geschrieben. Ich meine ich habe nichts dagegen, dass die Weser sich auf die Stelle da beworben hat, aber der Adler soll schon wissen, dass ich das für einen Fehler halte, ich meine, natürlich kann sie sich bewerben, ich frage mich allerdings, was manche Leute denken, wo sie so stehen …«
Er wollte weiterreden, doch wurde er von seinem Gesprächspartner unterbrochen. Die Ruhe, die im Waggon eintrat, war beklemmend. Als hielten alle den Atem an, nur die Fahrgeräusche waren zu hören. Dann hörte man wieder das Lachen. »Sie meinen … na gut, manchmal ist das eben schon notwendig, seine Meinung zu sagen … Nein, natürlich nicht. Mit der Weser habe ich nicht gesprochen. Ach, Sie meinen, das wäre besser gewesen, ahja, mhm.« Er wechselte das Thema. »Das mit dem Willmans habe ich auch thematisiert. Ich hab ihm jetzt ein Ziel gesetzt für diesen Monat, und zwar von roundabout sechzehntausend Euro, oder raus! Erreicht er das nicht, ist er raus, dann fliegt er eben raus. Anders geht das nun nicht mehr. Ist ein
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