Heidi Klum - Chamäleongesicht. Biographie (German Edition)
auf einmal zu verarbeiten – die Wolkenkratzer, die Lichter, die Brücken, die Menschen ... Mannomann, ich kam mir vor wie in einem Film.“
Die Ernüchterung folgt auf den Fuß. Die kleine Schlauchwohnung in einem verfallenen braunen Sandsteinhaus in der 18. Straße zwischen First und Second Avenue, die sie sich mit zwei deutschen Jungmodels teilen soll, ist baufällig. Warmwasser gibt es nicht. Es wimmelt von Kakerlaken, und durch die Decke tropft bei Regen das Wasser. Heidi ärgert sich einerseits, dass man sie mit Landsleuten einquartiert hat. Ihr Englisch ist schlecht, und sie würde es gerne verbessern. Andererseits ist es schön, in der Ferne Freunde aus der Heimat zu finden. Und Julia und Bianca (man kennt sich her nur beim Vornamen) können Heidi schon ihre eigenen Erfahrungen von Castings berichten. Auch einen ersten Einblick in die Welt der Prominenten gewinnt Heidi. Abends fährt mitunter eine Limousine mit getönten Scheiben in der Straße vor. Es ist der Popstar Prince, der Julia abholt. In die Wohnung hoch kommt er nie, doch Heidi und Bianca pressen immer dann, wenn er vorfährt, ihre Nasen in der Hoffnung auf den Fensterscheiben platt, ihn einmal leibhaftig zu sehen. Doch Prince steigt nie aus dem Wagen. Einmal bringt Julia eine Tonbandaufnahme von „The Most Beautiful Girl in the World“ mit, zwei Jahre, bevor das Lied veröffentlicht werden und für Prince einen Hit landen wird. Julia behauptet, Prince habe es für sie geschrieben, wie Heidi in ihrem Buch schreibt. Solche Bemerkungen sind typisch für ihre Äußerungen aus der Glamourwelt, der sie bald angehören wird. Es sind oft wiederholte Anekdoten, die nicht immer stimmen müssen. Schon bei der Prince-Episode muss man sagen: Könnte auch gut erfunden sein. Eine Julia kommt im offiziellen Kosmos des Pop-Künstlers nicht vor. Andere Geschichten über die Entstehung des Liedes kursieren. Eine davon ist die, dass ein Mann vom Plattenstudio den Popstar mit der Bemerkung herausgefordert habe, er könne keine Hits mehr schreiben. Darauf habe sich Prince hingesetzt und spontan „The Most Beautiful Girl in the World“ aus der Feder fließen lassen. Später begibt er sich öffentlich auf die Suche nach dem hübschesten Mädchen der Welt und lässt einmal die Bemerkung fallen, er habe das Lied für seine Freundin, die Filmschauspielerin Daniela Amavia geschrieben. Jahre später befindet ein italienisches Gericht, dass es sich um das Plagiat eines 1983 erschienenen Disco-Hits von Bruno Bergonzi und Michele Vicino namens „Taking me to Paradise“ handelt und gar nicht von Prince stammt. Ziemlich peinlich, wenn man bedenkt, dass das Lied von einem deutschen Model inspiriert sein soll, das anderweitig unbekannt geblieben ist.
Als Heidi Jahre später gemeinsam mit Prince in einer Talkshow auftritt, erinnert sie sich an ihre Anfänge. Seine Beziehung mit Julia ist längst zu Ende, dafür aber interessiert er sich für das Model, mit dem mittlerweile die Hälfte der Männer in den USA schlafen möchte. Prince lässt anfragen, ob Heidi in seine Garderobe kommen möchte. Sie geht hin und fragt ihn, ob sie sich mit ihm fotografieren lassen darf – ein Wunsch, den Männer wie Bill Clinton, Muhammad Ali, Michael Douglas, Elton John, George Clooney oder Nicolas Cage nicht abschlägig beschieden haben. Prince aber ist hier empfindlich und weist das Ansinnen von sich. Mit Heidi schlafen, ja. Aber mit ihr fotografiert werden – nee. Seine Erklärung: Er hat das Gefühl, dass jedes Bild „etwas von ihm nimmt“ – ein Gedanke, der Heidi vollkommen fremd ist, wie sie ihrem Buch anvertraut. Und für ein Model auch nicht gerade hilfreich wäre, wie man hinzufügen darf.
Heidis erster Termin im Jahr 1993 bei ihrer Agentur ist entmutigend. Die Booker fragen sich, was ihnen ihr Chef da aus Deutschland herangekarrt hat. „Sie sahen mich an und ich glaube, sie wussten nicht, was sie mit mir anfangen sollten. Ich hatte noch ein Babygesicht. Meine Haare gingen mir bis zum Hintern hinunter. Meine Fingernägel waren lang. Ich trug weite Hosen. Ich hatte keinen Stil. Ich war nichts anderes als ein einfaches Mädchen aus Bergisch-Gladbach. Also sagten sie mir: Lass dir die Haare und die Nägel schneiden, zieh was Engeres an und zeig ein bisschen mehr. Dann das Lächeln. Du musst lächeln. Aber das war für mich das Schlimmste. Ich war so verkrampft und konnte es so schlecht, einfach scheinbar spontan für die Kamera zu lächeln. Aber da gab es einen Photographen, der
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