Heilige Mörderin: Roman (German Edition)
Mashiba schon länger nicht gesehen, nicht wahr?«
»Stimmt. Wir haben ihn kurz vor der Hochzeit einmal besucht, aber das war das letzte Mal, dass wir richtig mit ihm reden konnten. Er hat uns immer wieder eingeladen, aber da es meinem Mann eben gesundheitlich nicht gut geht, sind wir nie hingefahren.«
»Ich glaube, wir haben ihn insgesamt nicht mehr als vier Mal gesehen«, sagte Kazuhiro nachdenklich.
»Die beiden haben recht schnell geheiratet, nicht wahr?«
»Das fanden wir auch. Ayane war bereits dreißig, und wir machten uns schon Sorgen, ob sie noch jemanden finden würde, da rief sie an und sagte, sie würde heiraten.« Tokiko verzog leicht missbilligend den Mund.
Den Eltern zufolge war Ayane acht Jahre zuvor nach Tokio gezogen. Doch bis dahin hatte sie nicht in Sapporo gelebt, sondern nach einem Kurzstudium eine Weile in England verbracht. Für Patchwork interessierte sie sich seit der Oberschule und hatte anscheinend sogar mehrere Preise gewonnen. Ein Buch, das sie nach ihrer Rückkehr aus England herausgegeben hatte, war vom interessierten Publikum sehr gut aufgenommen worden, und so hatte sie sich einen Namen gemacht.
»Sie arbeitete wie verrückt, und sooft ich sie fragte, wann sie die Absicht hätte zu heiraten, sagte sie, sie habe keine Zeit, Ehefrau zu sein und könnte im Grunde selber eine Ehefrau ganz gut gebrauchen.«
»Ach?« Eine originelle Überlegung, fand Kusanagi. »Ich hatte den Eindruck, sie sei eine sehr gute Hausfrau.«
Kazuhiro schob die Unterlippe vor und winkte ab. »Geschick im Handarbeiten heißt noch lange nicht, dass jemand eine gute Hausfrau ist. Als sie noch bei uns gewohnt hat, hat sie nicht einen Strich getan. Auch als sie noch allein in Tokio lebte, hat sie anscheinend nie gekocht.«
»Wirklich?«
»Ja«, bestätigte die Mutter. »Wir haben sie ein paarmal besucht, aber es sah nicht so aus, als würde sie für sich kochen. Ich glaube, sie aß immer auswärts oder brachte sich Fertigmenüs aus dem Supermarkt mit.«
»Aber ihren Freunden zufolge hatten Herr und Frau Mashiba häufig Gäste, und Ayane hat für sie gekocht …«
»Ja, Ayane hat uns davon erzählt. Sie hat vor ihrer Hochzeit einen Kochkurs belegt und ist eine recht gute Köchin geworden. Wir haben immer gesagt, dass sie das schaffen würde, sobald sie nur den Richtigen fände.«
»Und jetzt muss so etwas passieren. Das ist bestimmt sehr schwer für sie.«
»Können wir sie besuchen? Wir würden ihr gern bei der Bestattung und den Formalitäten helfen.«
»Natürlich, das ist kein Problem. Allerdings kann ich Ihnen leider noch nicht sagen, wann der Leichnam freigegeben wird.«
»Aha. Lass uns nachher gleich Ayane anrufen«, sagte Kazuhiro zu seiner Frau.
Nachdem er seine Fragen gestellt hatte, beschloss Kusanagi, sich zu verabschieden. Als er sich im Flur die Schuhe anzog, bemerkte er eine wattierte Patchwork-Jacke auf einem Bambusbügel. Sie war ziemlich lang und ging einem normal großen Menschen wohl bis über die Hüften.
»Die hat Ayane vor einigen Jahren gemacht«, sagte Tokiko. »Mein Mann soll sie anziehen, wenn er im Winter nach draußen geht, um die Zeitung und die Post hereinzuholen.«
»Sie hätte sie nicht so auffällig zu machen brauchen«, sagte Kazuhiro mit kaum verhohlenem Stolz.
»Die Mutter meines Mannes ist mal im Winter draußengestürzt. Dabei hat sie sich die Hüfte gebrochen. Deshalb hat Ayane in der Höhe der Hüfte ein Kissen eingenäht.« Tokiko präsentierte das Innere der Jacke.
Typisch für sie, sehr vorausschauend, dachte Kusanagi.
Als er das Haus der Mitas verließ, machte er sich auf den Weg zum Restaurant Sushi im Glück . Es war noch geschlossen, aber der Itamae, der Sushi-Koch, war schon mit seinen Vorbereitungen beschäftigt. Er war etwa fünfzig und trug einen Bürstenschnitt. Er konnte sich gleich an Ayane und ihre Freundin erinnern.
»Ich hatte Ayane lange nicht gesehen und freute mich deshalb besonders. Ich glaube, die beiden sind gegen zehn gegangen. Worum geht es denn? Ist etwas passiert?«
Es gab keinen Grund, den Mann in den Fall einzuweihen, und so verabschiedete sich Kusanagi mit einer unverbindlichen Ausrede.
Er war mit Utsumi in der Lounge eines Hotels am Bahnhof Sapporo verabredet. Als er ankam, war sie mit Schreiben beschäftigt.
»Haben Sie etwas Neues?«, fragte er und ließ sich in einem Sessel ihr gegenüber nieder.
»Ayane hat wirklich in dem Ryokan in Jozankei übernachtet. Die Wirtin hat es bestätigt, und auch, dass sie und ihre
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