Heiliger Bimbam – DuMonts Digitale Kriminal-Bibliothek: Gervase-Fen-Serie (German Edition)
Moment lang hing alles an einem seidenen Faden. Josephine zögerte, zitterte wieder. Dann blickte sie zu ihm auf und lächelte.
»Das darf ich nicht sagen.«
Fen traf Geoffrey am Tor, und seine Augen waren kalt vor Wut.
»Haben Sie mit Josephine gesprochen?« fragte Geoffrey.
Fen nickte. »Sie ist systematisch unter Drogen gesetzt worden«, sagte er bedächtig. »Vermutlich mit Marihuana – eine Art Haschisch; jedenfalls mit irgend etwas in Zigarettenform. Sie muß sofort ins Krankenhaus – ich rufe jetzt den Inspektor an und informiere ihn.« Er hielt inne. » Und das hat rein gar nichts mit den Morden zu tun – außer, daß dieselbe Person verantwortlich ist: völlig grundlose Teufelei, Verworfenheit um der Verworfenheit willen. Und es betrifft nicht nur ihren Körper, auch ihren Geist. Da ist noch was.«
»Was denn?«
»Sie ist eine Hexe.«
Geoffrey starrte ihn an. »Eine Hexe!«
»In Tolnbridge ist die alte Tradition offenbar nicht totzukriegen. Ja, nach der herkömmlichen Definition ist Josephine eine Hexe. Sie hat das Buch über christliche Theologie verbrannt, an dem ihr Vater schrieb. Sie wollte auf keinen Fall, daß seine Hände sie berühren, damit sie rein bleibt, für welche Scheußlichkeiten werden wir hoffentlich nie erfahren. Sie hat zu mir gesagt, er sei in schlechtem Glauben gestorben. Sie hat den Teufel gesehen und an Schwarzen Messen teilgenommen.«
Kapitel 10
Nachtgedanken
Hatred and vengeance, my eternal portion,
Scarce can endure delay of execution.
William Cowper
Haß und Rache, mein immerwährend Schicksal,
Erdulden jeden Aufschub nur mit Qualen.
Den Nachmittag verbrachte Geoffrey damit, zuerst eine Chorprobe zu leiten und dann in der Abendandacht zu spielen. Der Chor war gut ausgebildet und die Orgel so hervorragend, wie er erwartet hatte, und es tauchten keine besonderen Probleme auf. Als er während der Lesung und der Kollekte Muße hatte, dachte er darüber nach, was Fen ihm von seinem Gespräch mit Josephine erzählt hatte. Dabei konnte einem richtig angst und bange werden. Und Fen hatte gesagt, daß dahinter pure Böswilligkeit stecke und die Sache nichts mit den Morden zu tun habe – obgleich Geoffrey sich nicht vorstellen konnte, woher Fen das so genau wissen wollte. Jetzt stand nur noch die Befragung von Dallow aus – dem affektierten, etwas androgynen, kleinen Kanzler, der Experte für Hexerei war. Was hatte Frances doch noch gleich gesagt? – »… interessiert sich nicht nur als Forscher für das Thema.« Das Gespräch könnte auf jeden Fall interessant und bedeutsam sein.
Nach dem Abendessen machten sie sich auf den Weg zu Dallows Haus. Fen hatte den ganzen Nachmittag über draußen im Grünen nach Insekten gejagt und war bester Laune. Er schritt in seinem üblichen ermüdenden Tempo dahin und redete ohne Unterlaß. Josephine war aus Tolnbridge weggebracht worden, sagte er, an einen sicheren Ort, wo sie von Fachleuten behandelt werden würde.
»Sie wird wieder gesund«, fügte er hinzu. »Aber die ersten Wochen werden für sie kein Vergnügen sein. Mich interessiert jetzt vor allem, wer von den Leuten hier charakterlich so veranlagt ist, daß er sich damit amüsiert, eine Fünfzehnjährige systematisch unter Drogen zu setzen.«
Sir John Dallow wohnte in einer der neuen, großen, teuren Villen mit Blick auf die Flußmündung. Und kaum hatte die Haushälterin die Tür geöffnet, war unübersehbar, wie außerordentlich und bedrückend anspruchsvoll der Mann war. Doch nicht nur das: das Arbeitszimmer, in das sie geführt wurden, zeugte von einem deprimierend morbiden Geschmack, den man außerhalb einer Irrenanstalt einfach nicht für möglich halten würde. Eine abstoßende kleine Vampirzeichnung von Füssli hing an einer Wand; daneben war eine kunstvolle Zeichnung von Beardsley mit der Darstellung des fünften Kreises von Dantes Inferno zu sehen, und der ganze Raum wurde dominiert von einem akribischen, verzerrten Gemälde aus der Hand eines frühen deutschen Meisters, das über dem Kamin hing und eine Folterszene zeigte. Vervollständigt wurde die Dekoration durch eine schlechte Reproduktion von Dürers Melancholie , das diesem Minihorrorkabinett allerdings einen Hauch Ehrbarkeit, sogar Konventionalität verlieh. Die Regale waren voll mit Büchern, und da Sir John noch nicht da war, nahmen Fen und Geoffrey sie genauer in Augenschein, wobei ihre Bedrücktheit zunahm. Sie standen ohne Zweifel vor einer fast beispiellosen Sammlung von Werken über Hexerei: das
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