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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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bedeuten kann…
    … und Murakamis Arm, erhoben, in einer Hand die Kalaschnikow, die er aus dem Gürtel zieht…
    … mein eigener Schrei, der sich ausdehnt und mit seinem vermischt, als ich mich auf ihn werfe, um ihn aufzuhalten, trotz gefesselter Hände und hoffnungslos langsam…
    Und dann rissen die Wolken im Osten auf und erbrachen Engelsfeuer.
    Und das Dock erstrahlte in zornigem Licht.
    Und der Himmel stürzte über mir zusammen.

 
49
     
     
    Anschließend brauchte ich einige Zeit, um zu erkennen, dass ich nicht wieder träumte. Meine Umgebung hatte die gleiche halluzinatorische, verlorene Qualität wie die Kindheitsalbträume, die ich nach dem Betäubungstreffer durchlebt hatte, denselben Mangel an sinnvollem Zusammenhang. Ich lag wieder auf dem Dock von Segesvars Farm, aber sie war verlassen, und meine Hände waren plötzlich nicht mehr gefesselt. Ein leichter Nebel lag über allem, und aus allem schienen die Farben ausgebleicht zu sein. Der Gravschlitten schwebte geduldig an der Stelle, wo er auch zuvor gewesen war, aber in verdrehter Traumlogik war es nun Virginia Vidaura, die darauf lag, mit fahlem Gesicht zu beiden Seiten der großen Schürfwunde. Ein paar Meter weiter auf der Lagune brannten auf dem Wasser unerklärlicherweise einige Flecken mit blassen Flammen. Sylvie Oshima beobachtete das Feuer, während sie starr und vornübergebeugt wie ein Reißflügler auf einem der Anlegepfeiler hockte. Sie musste gehört haben, wie ich beim Aufstehen gestolpert war, aber sie blickte sich nicht zu mir um, sie rührte sich überhaupt nicht.
    Es hatte endlich zu regnen aufgehört. Die Luft roch versengt.
    »Verfluchter Grigori Ishii«, sagte sie und sah mich immer noch nicht an.
    »Sylvie?«
    Dann drehte sie sich um, und ich sah die Bestätigung. Sie war wieder der DeCom-Kommandokopf. Die Feinheiten ihrer Haltung, der Blick ihrer Augen, die Stimme – alles hatte sich zurückverwandelt. Sie lächelte matt.
    »Das ist alles nur deine Schuld, Micky. Du hast mich dazu gebracht, über Ishii nachzudenken. Es hat mir keine Ruhe gelassen. Dann erinnerte ich mich, wer er war, und ich musste wieder hier herunterkommen, um nach ihm zu suchen. Und mich durch die Wege wühlen, auf denen er hereingekommen war, auf denen auch sie hereingekommen war, nachdem ich mit der Suche begonnen hatte.« Sie zuckte die Achseln, aber es war keine lässige Geste. »Ich habe den Weg freigemacht.«
    »Ich kann dir nicht folgen. Wer ist denn nun Grigori Ishii?«
    »Du kannst dich wirklich nicht erinnern? Schulunterricht in Geschichte, dritte Klasse. Der Alabardos-Krater.«
    »Mein Kopf tut weh, Sylvie, und ich habe sehr oft die Schule geschwänzt. Komm zum Punkt.«
    »Grigori Ishii war ein quellistischer Jetkopter-Pilot, der beim Rückzugsgefecht in Alabardos dabei war. Er war es, der versucht hat, Quell rauszubringen. Er starb mit ihr, als das Engelsfeuer losbrach.«
    »Dann…«
    »Ja.« Sie lachte kaum hörbar. »Sie ist die, die sie zu sein behauptet.«
    »Hat.« Ich hielt inne und blickte mich um, versuchte das ungeheure Ausmaß des Ganzen zu erfassen. »Hat sie das hier getan?«
    »Nein. Das war ich.« Sie korrigierte sich mit einem Achselzucken. »Sie haben es getan. Ich habe sie darum gebeten.«
    »Du hast das Engelsfeuer ausgelöst? Du hast dich in ein Orbital eingeklinkt?«
    Ein Lächeln zog über ihr Gesicht, aber unterwegs schien es sich an etwas Schmerzhaftem zu verfangen. »Ja. All der Blödsinn, über den wir geredet haben, und ich bin wirklich diejenige, die es macht. Klingt ziemlich unmöglich, nicht wahr?«
    Ich drückte eine Hand auf mein Gesicht. »Sylvie, du musst dich unbedingt runterfahren. Was ist mit Ishiis Jetkopter passiert?«
    »Nichts. Ich meine, es war alles so, wie du es in der Schule gelesen hast. Das Engelsfeuer hat ihn erwischt, genauso, wie man den Kindern erzählt. Genauso wie in der Geschichte.« Es war eher ein Selbstgespräch als eine Unterhaltung mit mir, und sie starrte immer noch in den Nebel, den der Orbitalschlag erzeugt hatte, als er den Pfähler und vier Meter Wasser drumherum atomisiert hatte. »Aber es ist nicht so, wie wir gedacht haben, Micky. Das Engelsfeuer. Es ist ein Energiestrahl, aber er ist mehr als das. Er ist gleichzeitig eine Aufzeichnungsvorrichtung. Ein Speicherengel. Er zerstört alles, was er berührt, aber alles, was von ihm berührt wird, modifiziert wiederum die Energie des Strahls. Jedes einzelne Molekül, jedes einzelne subatomare Teilchen verändert minimal die Energie

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