Heiliger Zorn
den Arbeitern dazu beitrugen, ihre politischen Überzeugungen zu festigen. Bezahlung und Arbeitsbedingungen in diesen beiden Berufsgruppen waren durchgängig schlecht, auf den Belatang-Farmen kam es immer wieder zu schweren Erkrankungen, und unter den Simsfrucht-Arbeitern gab es eine hohe Todesrate durch Abstürze.
Jedenfalls veröffentlichte Makita Anfang 69 in den radikalen Zeitschriften Neuer Stern und Gezeitenwechsel Artikel, die als klare Abkehr von den liberalen Reformtendenzen zu erkennen sind, die sie als Studentin vertreten hatte (und die auch der Einstellung ihrer Eltern entsprachen). Stattdessen schlug sie eine neue revolutionäre Ethik vor, die Anleihen bei schon bestehenden extremistischen Strömungen machte, aber durch die beißende Kritik an eben diesen Denkrichtungen auffiel – eine Kritik, die kaum weniger vernichtend war als die an der Politik der herrschenden Klasse selbst. Mit dieser Herangehensweise machte sie sich bei den radikalen Intellektuellen ihrer Zeit nicht gerade beliebt, und sie fand sich, obwohl sie als brillante Denkerin anerkannt wurde, zunehmend vom revolutionären Mainstream isoliert. Da ihre neue politische Theorie bis dahin namenlos geblieben war, prägte sie dafür in ihrem Artikel Die gelegentliche Revolution die Bezeichnung Quellismus. Dort behauptet sie, dass moderne Revolutionäre sich dann, wenn es ihnen an Nahrung durch unterdrückerische Kräfte mangelt, wie Quellcrist-Staub übers Land wehen lassen müssen, allgegenwärtig und spurlos, aber mit der Kraft zur revolutionären Regeneration im Innern, wann immer neue Nahrung auftaucht. Man geht davon aus, dass sie selbst kurz danach und aus derselben Inspiration heraus den Namen Quellcrist angenommen hat. Der Ursprung des Nachnamens Falconer bleibt allerdings umstritten.
Mit dem Ausbruch der Belatang-Unruhen von Kossuth im Mai 71 und dem darauffolgenden harten Durchgreifen trat Makita erstmals als Guerillera in Erscheinung…«
»Moment.« Die Dose Kaffee war nicht besonders großartig, und der anhaltende Strom angenehm vertrauter Fakten hatte eine hypnotische Qualität angenommen. Ich gähnte erneut und stand auf, um die Dose zu entsorgen. »Also gut, vielleicht doch nicht ganz so genau. Springen wir ein Stück nach vorn.«
»Eine Revolution«, verkündete Grabung 301 gehorsam, »die die gerade im Aufstieg begriffenen Quellisten nicht für sich zu gewinnen hoffen konnten, solange sie die interne Opposition davon abhielten…«
»Noch weiter. Bis zur zweiten Front.«
»Ganze fünfundzwanzig Jahre später trug diese scheinbar nur rhetorische Behauptung als brauchbares Axiom Früchte. Um Makitas eigene Metapher zu benutzen: Der Quellcrist-Staub, der im Anschluss an die Niederlage der Quellisten durch Konrad Harlans von ihm selbst so bezeichneten entsetzlichen Sturm der Gerechtigkeit weit übers Land verteilt worden war, ließ nun an Dutzenden Orten neuen Widerstand aufkeimen. Makitas zweite Front entstand genauso, wie sie es vorhergesagt hatte, aber diesmal hatte sich die Dynamik des Aufstands zur Unkenntlichkeit gewandelt. Im Zusammenhang mit…«
Ich ließ die Geschichte über mich hinwegspülen, während ich die Frühstückspackungen nach mehr Kaffee durchwühlte. Auch das kannte ich schon. Zur Zeit der zweiten Front war der Quellismus kein Fisch auf dem Trockenen mehr gewesen. Eine Generation verschwiegener Inkubation unter dem Stiefelabsatz der Harlan-Maßnahmen hatte ihn zur einzigen radikalen Kraft gemacht, die es auf dem Planeten noch gab. Andere Strömungen hatten mit ihren Kanonen herumgefuchtelt oder ihre Seelen verkauft und waren trotzdem niedergemacht worden. Die vom Protektorat unterstützten Regierungstruppen hatten ihnen die Hosen runtergezogen und aus ihnen einen verbitterten und desillusionierten Haufen Ehemaliger gemacht. Derweil waren die Quellisten einfach verschwunden, hatten den Kampf aufgegeben und bereitwillig wieder ihr normales Leben aufgenommen, wie Nadia Makita es immer gepredigt hatte. Die Technologie ermöglicht es uns, in Zeiträumen zu leben, von denen unsere Vorfahren nur träumen konnten – wir müssen darauf vorbereitet sein, diese Zeiträume zu nutzen, in ihren Maßstäben zu leben, wenn wir unsere Träume verwirklichen wollen. Und fünfundzwanzig Jahre später kehrten sie zurück, mit Karrieren, Familien, großgezogenen Kindern, kehrten zurück, um wieder zu kämpfen, weniger gealtert als gereift, weiser, zäher, stärker und im Innersten vom Flüstern genährt, das im Herzen
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