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Heiliger Zorn

Heiliger Zorn

Titel: Heiliger Zorn Kostenlos Bücher Online Lesen
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mir klar. Etwas muss nachgeben.
    Aber stattdessen wurde es dunkel, und nach einer weiteren einsilbigen Mahlzeit gingen wir beide in unsere getrennten Betten. Ich lag in der Todesstille der schallgeschützten Hütte und stellte mir Nachtgeräusche vor, die größtenteils zu einem weit südlicheren Klima gepasst hätten. Plötzlich wurde mir bewusst, dass ich vor beinahe zwei Monaten dort hätte sein sollen. Die Envoy-Konditionierung – konzentrier dich auf deine unmittelbare Umgebung und werde mit der Situation fertig – hatte mich davon abgehalten, in den vergangenen Wochen allzu viel darüber nachzudenken, aber bei jeder geeigneten Gelegenheit stahlen sich meine Gedanken nach Newpest und zur Tang-Lagune zurück. Es war nicht so, dass mich jemand vermissen würde, aber ich hatte gewisse Verabredungen getroffen und nun gebrochen, und Radul Segesvar würde sich fragen, ob das stille Verschwinden vielleicht meine Entdeckung und Gefangennahme bedeutete – mit allen Unannehmlichkeiten, die das für ihn in der Lagune zur Folge haben konnte. Segesvar war mir etwas schuldig, aber es handelte sich um keine besonders große Schuld, und bei den südlichen Mafias war es nicht unbedingt geschickt, allzu sehr auf so etwas herumzureiten. Die haiduci verfügten nicht über die ethische Disziplin der Yakuza. Ein paar Monate stillschweigender Abwesenheit waren hart an der Grenze.
    Meine Hände juckten wieder. Der genetische Tick, der das Verlangen weckte, eine Felswand zu packen und aus diesem Scheiß hier rauszuklettern.
    Sieh den Tatsachen ins Auge, Micky. Es wird Zeit, das hier hinter sich zu lassen. Deine DeCom-Tage sind vorbei. War nett, solange es gedauert hat, und es hat dir ein neues Gesicht und diese Gekko-Hände verschafft, aber genug ist genug. Es wird Zeit, wieder in die Gänge zu kommen. Kümmere dich um den anstehenden Job.
    Ich drehte mich auf die Seite und starrte die Wand an. Dahinter lag Sylvie in derselben Stille, derselben Autoform-Isolation. Vielleicht wälzte sie sich im selben schlaflosen Wellengang wie ich.
    Was soll ich tun? Sie verlassen?
    Du hast schon Schlimmeres getan.
    Ich sah Orrs anklagenden Blick vor mir. Du fasst sie nicht an, Wichser.
    Hörte Lazlos Stimme. Ich verlasse mich auf dich, Micky.
    Klar doch, durchfuhr mich meine eigene Stimme. Er verlässt sich auf Micky. Takeshi Kovacs kennt er noch nicht mal.
    Und wenn sie die ist, die sie zu sein behauptet?
    Ach, komm schon. Quellcrist Falconer? Du hast die Maschine gehört. Quellcrist Falconer wurde siebenhundert Meter über Alabardos in fliegende Asche verwandelt.
    Und wer ist sie dann? Der Geist im Stack, meine ich. Vielleicht ist sie nicht Nadia Makita, aber ganz offensichtlich glaubt sie, es zu sein. Und mit Sicherheit ist sie nicht Sylvie Oshima. Also, wer, zum Teufel, ist sie?
    Keine Ahnung. Ist das dein Problem?
    Ich weiß nicht, ist es das?
    Dein Problem ist, dass die Yakuza dein eigenes heiß geliebtes Ich aus irgendeinem Archivstack geladen hat, um dich zu erledigen. Ausgesprochen poetisch, und mal ganz ehrlich – wahrscheinlich wird der Scheißkerl keine schlechte Arbeit für sie machen. Auf jeden Fall hat er die nötigen Ressourcen – einen globalen Steckbrief, falls du dich erinnerst. Und du kannst dich darauf verlassen, dass der Anreiz für ihn verdammt hoch ist. Du kennst die Regeln zum Thema Doppel-Sleeving.
    Und im Moment ist das Einzige, was all das mit dem Sleeve in Verbindung bringt, den du gerade trägst, die Frau nebenan und ihre minderwertigen Söldnerkumpel. Je eher du dich also von ihnen löst, nach Süden gehst und dich um den anstehenden Job kümmerst, desto besser für alle Beteiligten.
    Der anstehende Job. Ja, der wird ganz sicher all deine Probleme lösen, Micky.
    Hör auf, mich so zu nennen, Arschloch!
    Ungeduldig warf ich die Decke zurück und stand auf. Ich stieß die Tür auf und blickte in ein leeres Zimmer. Ein Tisch und ein verschlungenes, in der Dunkelheit leuchtendes Datengitter, in einer Ecke zwei zu einem kantigen Umriss verschmolzene Kartons. Das Licht von Hotei malte in blassem Orange rechteckige Fensterformen auf den Boden. Nackt lief ich durchs Mondlicht und ging neben den Kartons in die Hocke, um eine Dose Amphetamin-Cola hervorzukramen.
    Scheiß auf den Schlaf.
    Ich hörte sie hinter mir und wandte mich mit kaltem, unvertrautem Unbehagen in den Knochen um. Ich wusste nicht, wem ich ins Gesicht sehen würde.
    »Du auch, was?«
    Es war Sylvie Oshimas Stimme, Sylvie Oshimas leicht fragender Wolfsblick,

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