Heiliges Feuer
morgen mitkommen? Bitte?«
»Also, das kannst du nicht von mir verlangen. Wenn du glaubst, ich käme mit einem kranken, verzweifelten Mann zurecht, der zum Selbstmord entschlossen ist, also ...« Sie zögerte. »Na ja, wahrscheinlich bin ich besser dazu geeignet als sonst irgendjemand, den du kennst.«
»Du bist ja so lieb zu mir, Maya. Ich hab gewusst, dass du mir helfen würdest. In dem Moment, als ich dich zum erstenmal sah, wusste ich, dass du etwas ganz Besonderes bist.« Therese erhob sich. Sie wirkte erleichtert. »Ich muss jetzt zurück zu Bruno und mit ihm bumsen. Ich habe versprochen, die ganze Nacht bei ihm zu bleiben.«
»Und ein Versprechen hält man auch.«
Therese blickte sich in der menschenleeren Bar um. »Es ist so spät, und es sieht hier so seltsam und einsam aus ... Magst du nicht mitkommen und mitmachen?«
»Ausmachen würde es mir gewiss nichts«, erwiderte Maya, »aber ich wüsste nicht, was das bringen sollte.«
Sie lernte Bruno morgens um zehn kennen. Brunos unheimliche Ähnlichkeit mit einem Schauspieleridol des zwanzigsten Jahrhunderts war frappierend. Die Ähnlichkeit rührte vor allem von seiner schlechten Gesundheit und seinem schlechten Makeup her. Bruno hatte einen breiten, steinharten Kopf mit welligem Haar und fettigen Poren, die auf eine intensive Behandlung mit männlichen Steroiden hindeuteten. Er trug einen lackierten Strohhut und einen dunklen Anzug mit schmalen Revers, eine scharf gebügelte maßgeschneiderte Hose und ein Hemd ohne Netzgerät.
Bruno krakeelte und drohte nicht. Er trat etwas großspurig auf, doch ihm fehlten die geschmeidigen Muskelpakete der wahren Muskelprotze. Bruno flößte deshalb Angst ein, weil er durchaus fähig schien, Menschen zu töten, und zwar ohne Zögern und ohne darauf folgende Gewissensbisse. Bruno machte einen wahrhaft barbarischen Eindruck. Gleichzeitig wirkte er alt und besiegt, wie ein todkranker Wolf. Er sah so aus, als habe er sich das eigene Bein abgebissen und es mit Behagen verspeist.
Für jemanden, der seinem Ende entgegensah, war Bruno erstaunlich vergnügt und philosophisch. Maya war noch niemandem begegnet, der seinem Tod mit Freuden entgegengesehen hätte. Bruno flachste mit Therese, wobei er sich eines südfranzösischen Gaunerjargons bediente, der Mayas Perückenübersetzer überforderte. Seine Ausdrucksweise war gespickt mit Obszönitäten.
So drückte sich heutzutage niemand mehr aus. Obszönitäten waren einfach nicht mehr gebräuchlich, waren ebenso wie die gewöhnliche Erkältung aus dem sozialen Miteinander verschwunden. Bruno aber schwelgte darin. Therese wiederum erbosten seine verbalen Grobheiten. Jedes Mal schalt sie Bruno mit allen Anzeichen von Empörung deswegen aus. Es war eine Art Ping-Pong-Spiel, offenbar ihre Art von wechselseitiger Werbung.
Sie frühstückten zu dritt im Wagen. Der Todkranke verzehrte einen herzhaften Lunch. Anschließend fuhren sie in ein dichtes Waldstück im Norden der tschechischen Grenze. Das war zwar nicht der Schwarzwald, doch darauf kam es offenbar nicht an. Die Bäume schlugen gerade aus, und es wehte ein laues Frühlingslüftchen. Der Wagen - er gehörte Emils Exfrau - beklagte sich bitterlich darüber, ins Gebüsch am Straßenrand fahren zu müssen. Dort stiegen sie aus.
Bruno holte einen Klappspaten und einen schweren Koffer aus dem Kofferraum. Dann machten sie sich zu Fuß auf den Weg. Bruno wusste genau, wo er hinwollte.
Sie gelangten zu einer kleinen Hangwiese. Bruno klappte den Keramikspaten auseinander, hängte Hut und Jackett gewissenhaft auf einen Ast und machte sich ans Ausschachten. Er trug einen weiten Kreis von Grassoden ab und legte sie sorgfältig beiseite. Während er grub, gab er sich Erinnerungen hin.
»Er meint, dies sei ein alter geheimer Rastplatz«, übersetzte Therese. »Vor langer Zeit wurde er von den Zigeunern benutzt. Später wurden hier ein paar Störenfriede verscharrt.«
Bruno wischte sich den Schweiß von der Stirn. Auf einmal sprach er englisch. »Ein Mann«, erklärte er, »muss im Leben seine Bestimmung erfüllen.« Er lächelte Maya einnehmend an.
Bruno grub so lange, bis er wegen zu großer Schmerzen nicht mehr weitermachen konnte. Mit aschfarbenem Gesicht setzte er sich nieder und genehmigte sich eine Dosis aus einem Inhalator aus Geschützlegierung. Therese machte an seiner Stelle weiter. Als sie ebenfalls erschöpft war, ergriff Maya den Spaten. Sie trug Schuhe mit flachen Absätzen, Hose und einen leichten Pullover, keine
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