Heiliges Feuer
sind bei mir gut aufgehoben. Außerdem würde mir sowieso niemand glauben.«
Das Ausmaß seiner Selbstgefälligkeit setzte sie dermaßen in Erstaunen, dass sie ihre Verzweiflung beinahe vergaß. »Du glaubst doch nicht etwa ... dass ich mich umbringen sollte?«, fragte sie kleinlaut.
»Meine Güte, Frau, was ist los mit dir? Mit dir ist alles in Ordnung. Du bist keine Kriminelle, du hast die Gerontokraten bloß um ein paar Laborrattentests geprellt. Was können sie dir schon anhaben - sollen sie dich etwa wieder alt machen? Dich bei Tageslicht verschrumpeln lassen wie einen Apfel im Keller? Das können sie nicht tun. Sie glauben, sie würden die Welt beherrschen, aber sie sind alle verdammt, sie sind eine Bande kranker Hundertjähriger mit lächerlichen Techniken ... Mit Menschen herumzupfuschen, ohne jede Ahnung von der Macht der Imagination ... Und das alles, bloß um dich mir zu schicken! Dich! Wie eine kleine rosa Strandkrabbe, die eben aus der Schale gekrochen ist!«
»Ich bin keine kleine Strandkrabbe. Und ich bin auch kein Inkubus.« Sie sog scharf den Atem ein. »Ich bin eine Gesetzlose.«
Er lachte.
»Ja, wirklich! Ich habe mich als jemand anders ausgegeben, als ganz jemand anders, damit ich mich nicht mit meinen wahren Wünschen beschäftigen musste. Aber das war falsch, denn ich war die ganze Zeit Mia, ich war immerzu Mia, und ich bin auch jetzt im Moment Mia, und ich hasse diese Leute! Sie wollen nicht, dass ich lebe! Sie wollen bloß, dass ich vegetiere und meine Zeit absitze, genau wie sie! Ich könnte jetzt auf die Straße gehen - jedenfalls wenn ich vorher was anziehen würde - und das Labor in San Francisco anrufen und sagen: ›Hallo, ich bin’s, Mia Ziemann, ich hab schlecht auf die Behandlung reagiert, tut mir Leid, ich bin in Europa, ich hab vorübergehend den Kopf verloren, bitte holt mich zurück, steckt eure Instrumente in mich rein, pflastert mich voll damit, ich hab mich wieder gefangen, ich werd auch ganz brav sein.‹ Und sie würden mich holen! Sie würden ein Flugzeug schicken und wahrscheinlich auch gleich einen Reporter, und sie würden mir meinen Job zurückgeben und mir einen nassen Waschlappen auf die Stirn legen. Sie sind ja so blöde, sie sollen alle krepieren! Ich werde nie wieder in dieses Leben zurückkehren, lieber sterbe ich, eher springe ich aus dem Fenster.« Sie zitterte.
Emil berührte schweigend ihre Hand. Schließlich stand er auf und holte ihr ein Glas Wasser. Sie trank gierig und wischte sich die Augen.
»War’s das, was du mir sagen wolltest?«
»Ja.«
»Das war alles?«
»Ja, schon.«
»Hast du mir das schon einmal erzählt?«
»Nein, Emil, noch nie. Weder dir noch sonst jemandem. Du bist der erste, ehrlich.«
»Glaubst du, du musst es mir noch einmal erzählen?«
Sie überlegte. »Glaubst du, du wirst es im Gedächtnis behalten?«
»Ich weiß nicht. Könnte sein. Es kommt nicht oft vor, dass ich etwas behalte, was man mir spät nachts sagt. Mit einer anderen Frau wäre es auch wieder was anderes, aber zwischen uns besteht eine tiefe Verbindung. Ich glaube ... ich glaube, es war Schicksal, dass wir uns begegnet sind.«
»Also ... vielleicht ... Nein. Nein, das glaube ich nicht, Emil. Ich bin nicht religiös, ich bin nicht abergläubisch, halte nichts von Esoterik, ich bin nun einmal nicht mystisch veranlagt, ich bin bloß posthuman. Ich bin posthuman, ich habe mich dafür entschieden, hinter die Grenze vorzustoßen. Diese Entscheidung habe ich sehenden Auges getroffen, und jetzt muss ich lernen, mit meinem privaten Albtraum weiterzuleben.«
»Ich wüsste einen Ausweg.«
»Und wie sähe der aus?«
»Du müsstest sehr tapfer sein. Aber ich könnte dich wieder heil machen. Keine Zweifel, keine Geheimnisse, keine Schmerzen mehr. Du wärst wieder eine vollständige, neue Frau. Wenn du willst.«
»Ach, Emil ...« Sie starrte ihn ungläubig an. »Kein Amnetikum.«
»Natürlich das Amnetikum. Du glaubst doch hoffentlich nicht, ich könnte etwas so Kostbares verlegt haben. Diese Ziemann, von der du gesprochen hast, diese alte Frau, dein Inkubus ... Wir könnten dich von ihr befreien. Wie durch Zauberei.«
»Würde uns das wirklich helfen? Ich wäre immer noch eine Illegale.«
»Nein, wärst du nicht. Dieses Problem würden wir ebenfalls lösen. Du wärst meine Frau. Du wärst jung. Und neu. Und frisch. Und du würdest mich lieben. Und ich würde dich lieben.« Er setzte sich gestikulierend im Bett auf. »Wir könnten alles aufschreiben. Wir könnten
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