Heimat
Ländern von 1990 bis 2020 um 40 Prozent zurückgehen soll. Demografische Modelle rechnen bis 2025 für Ostdeutschland mit einem Bevölkerungsschwund um bis zu 17 Prozent. 233 Die Folgen sind in einigen Regionen dramatisch. Bereits im Jahr 2000 standen in den neuen Ländern rund 380.000 Wohnungen leer, die mit Milliardenaufwand »zurückgebaut« wurden. 234 Geschlossene Kindergärten, Schulen, Bibliotheken, Bahnstrecken - in vielen Gegenden macht sich eine »Der-Letztemacht-das-Licht-aus-Mentalität« breit.
5. »In 50 Jahren können wir Staakow zumachen«: Wie ein Dorf langsam ausstirbt
Der Konsum war sofort nach der Wende weg und auch das Backwarenkombinat im Nachbarort, wo viele Staakower arbeiteten. Nur die Dorfkneipe hat überlebt - mit Busladungen. Es fing an in der verrückten Zeit, als alle den ach so armen DDR-Bürgern etwas andrehen wollten. Erst kamen die türkischen Teppichhändler, dann rückten die Holländer mit Töpfen und Pfannen an. Und dann begannen die Kaffeefahrten. Die Staakower Rentner, die einfach mal raus wollten, fuhren nach Thüringen und kamen mit überteuerten Deckbetten und beheizbaren Heilkissen zurück. Einige stapelten die Dinger gleich unausgepackt im Kämmerchen oder schmissen sie später weg, weil die Heilkissen irgendwie doch nicht halfen gegen die Schmerzen im Knie. Die Rentner von anderswo aber kamen nach Staakow, ganze Busladungen voll, abgeliefert im Restaurant »Zum Thüringer«, wo sie mit sensationellen Angeboten nebst Kaffee und Kuchen bearbeitet wurden. Es sind inzwischen weniger geworden, aber ab und zu kommen die Busse noch in das winzige Dörfchen am Rande des Spreewalds zwischen Dresden und Berlin.
Staakow, das ist einmal die Dorfstraße nach rechts bis zum Waldrand, die Bewohner nennen das ironisch das »Armenviertel«, weil irgendein Bürgermeister vor Jahrzehnten es für weise hielt, dort die Linden am Gehweg abzuhacken. Die Dorfstraße nach links ist das »Millionenviertel«, weil die Linden dort stehen blieben. Dort steht auch das Häuschen der freiwilligen Feuerwehr. Und dann ist da noch die Bushaltestelle. Das war’s. Alles in allem 50, 60 Häuser.
180 Einwohner hat Staakow noch. In den 60er Jahren waren es mehr als 300. Allein in den vergangenen zehn Jahren ist jeder Zehnte weggezogen oder weggestorben - jedes Jahr vier, sechs, zehn Leute, die fehlen. »In 50 Jahren können wir Staakow zumachen«, meint Norbert Nun, der mit seiner Frau am linken Ende der Dorfstraße lebt. Andere sind noch pessimistischer. »In 20 Jahren sind hier nur noch 20 Häuser bewohnt«, sagt Edelgard Habicht in ihrem gelben Häuschen am rechten Ende des Orts.
Die 76-Jährige, die von Geburt an in Staakow lebt, ist die Nachbarn
im Kopf alle durchgegangen. »Fast nur noch alte Leute«, sagt sie. »Wenn sie mal gestorben sind, kommt niemand nach. Wer soll denn die Häuser kaufen?« Drei Gebäude die Straße runter stehen schon leer, eines ist inzwischen unbewohnbar. Der Besitzer wollte zuletzt noch 16.000 Euro dafür. Zu viel in einem Ort, wo es keine Jobs gibt, keinen Laden, keine Kirche, keine Schule, keine Kita. Es ist ein ehemaliges Bauerndorf ohne Bauern - nur noch ein kleiner Betrieb im Ort züchtet Rinder. Ein ehemaliges Handelsdorf ohne Händler - seit 1908 gab es einen Kolonialwarenladen und die Staakower zogen mit Leinöl, Butter und Eiern übers Land. Heute kann sich kein Händler dort mehr halten, zwei kleine Lädchen machten nach der Wende auf und wieder zu. Die Alten, die nicht selbst fahren, sind nun auf die »Autos« angewiesen, die einmal die Woche mit Brot, Gemüse und Wurst nach Staakow kommen. Die letzten, die es hier mit Selbstständigkeit probiert haben, waren die Fußpflegerin und der Mädchen-für-alles-Handwerker, der das komplette Programm vom Malern bis zum Rohrfrei anbot. Es hat nicht gereicht.
Jetzt ziehen jeden Morgen fast alle aus dem Schlafdorf hinaus zur Arbeit oder in die Kitas und Schulen der Nachbarorte. 13 Jungen und Mädchen unter zwölf Jahren weist die Einwohnerstatistik noch für Staakow aus. Früher tummelten sich allein in dem eigenen Kindergarten einmal bis zu 30 Kleinkinder. Auch die Kleinsten reisen nun täglich in aller Frühe mit den Eltern oder im Bus zehn, 15, 20 Kilometer.
Zum Beispiel nach Schönwalde. Dort sitzt der für Staakow zuständige Amtsdirektor Jens-Hermann Kleine in einem hübsch sanierten Verwaltungsgebäude und blickt auf den wunderschönen, neu gebauten Kindergarten Regenbogen. Es ist ein Elterntraum: die
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