Heimaturlaub
blickten, daß es unerträglich schien, sie länger anzusehen. Sie sah das starke Kinn, vorgeschoben, ein Muskel spielte an den Mundwinkeln, die Lippen waren fest aufeinandergepreßt … Da wußte Hilde auf einmal klar, daß es gegen diesen Mann keinen eigenen Willen mehr gab, daß dieser Mensch kompromißlos war bis zur Grausamkeit.
Sie senkte den Kopf, so daß die langen blonden Locken wie ein goldener Strom über ihr Gesicht fielen, und sagte langsam:
»Wenn du mitkommst … so …«
Wüllner blickte zur Seite. Leise, aber klirrend unterbrach er sie:
»Ich bleibe!«
»Du hast als Vater die gleiche Pflicht wie eine Mutter!«
»Den Vater kann ein Kind vermissen … die Mutter nicht! Nie!«
»Ich kann dich nicht verlassen.«
»Du mußt! Es gibt einen Unterschied zwischen Pflicht und Gefühl, zwischen Schicksal und Wollen! Deine Grenzen sind gezogen, sie zu überschreiten wäre ein Frevel gegen das Leben! Beuge dich dem Zwang des Schicksals. Was dir heute ein Opfer erscheint, ein Berg des Schmerzes, das trägst du morgen als eine Last des Lebens, die zu tragen war, um das Höchste zu gewinnen: die Vollendung deines und meines Lebens in unserem Kind …«
Wieder, immer wieder streichelte er über ihre Haare, spielte mit den goldenen Locken. Es war ihm, als müßte ihm die Kehle vertrocknen, als müßte jedes Wort im Munde zu Gift werden, als er jetzt mit leiser, eindringlicher Stimme sagte:
»Hilde, ich bitte dich, ich flehe dich an: Rette dich und unser Kind … es ist deine Pflicht, die über allem steht, was es sonst auf dieser Erde noch geben mag. Unser Kind ist wichtiger, als du es bist, und wichtiger, als ich es bin.«
Stumm, ohne ein Wort zu entgegnen, nickte Hilde. Ihre Tränen tropften auf die Brüstung des Maschinengewehrstandes, sie wandte sich ab und barg ihr Gesicht in den Händen.
Krieg! O dieser Wahnsinn der Völker! Wann steht endlich die Vernunft auf in der Welt? Wann wird endlich die Einsicht zu den Völkern kommen, daß Platz für alle auf dieser Erde ist? Wann, o wann?! War denn diese Welt so blind, im Mord einen Ausweg zu sehen, im Blut die Freiheit zu suchen und im Terror die Verwirklichung des ideologischen Fanatismus?!
War die Welt wirklich so blind?
Ohne ein Wort weiter zu sagen, führte Hilde Heinz wieder in den Bunker. Langsam, unter stechenden Schmerzen, stieg er die engen Stufen hinab, sich mit der Hand an der Lehmmauer weitertastend. Dichter Rauch schlug ihm entgegen und setzte sich beißend in seine Augen, als er mit den Füßen die Tür aufstieß.
Da saßen Wilhelm von Stohr und Leutnant Wirtz am rauchenden Ofen, eine Zigarette zwischen den Lippen und hieben Karten auf den wackligen Holztisch.
Sie spielten Sechsundsechzig …
Am Abend meldete sich ein junges Bürschchen auf dem Kompaniegefechtsstand und erklärte sich freiwillig bereit, als Melder durch die feindlichen Linien zu brechen, Ersatz anzufordern, die Tonaufnahme Wüllners mitzunehmen und die Nachrichtenhelferin Hilde Brandes bei der Division abzuliefern.
Wirtz sah sich den schmächtigen Körper dieses Jungen an, das frische, jetzt lehmschmutzige Gesicht und die blitzenden Augen. Kaum achtzehn Jahre alt schätzte er den Landser.
»Wissen Sie, daß dies ein Todeskommando ist?«
»Jawohl, Herr Leutnant!«
»Haben Sie Familie?«
»Nein, Herr Leutnant. Meine Eltern fielen bei einem Luftangriff auf Mannheim. Mein Bruder blieb in Stalingrad. Ich habe nur noch eine alte blinde Tante in Chemnitz.«
Wüllner gefiel die forsche Art dieses Jungen. Im Übrigen blieb keine Wahl, wenn Hilde gerettet werden sollte; denn hier in der Stellung ausharren, bedeutete den sicheren Tod – abhauen immerhin eine Chance.
Er fühlte, daß dieser Kerl es schaffen mußte und würde. Wenn es keiner konnte – diese Frechheit kam durch!
So legte er die Rechte auf die schmale Schulter des Bürschchens und sah ihm tief in die Augen.
»Also gut. Du haust heute nacht ab … in einer Stunde trabst du los. Aber erst kommt die Meldung, dann die Tonaufnahme, zuletzt erst das Fräulein! Verstanden?«
Der Junge knallte die Hacken zusammen und antwortete mit sicherer Stimme:
»Jawohl, Herr Oberleutnant.«
Er sagte jawohl, obgleich er es nicht verstand; wie konnte ein Mann seine Braut so unwichtig finden, daß er sie ganz ans Ende stellte? Komisch, diese Offiziere … der Teufel werde klug aus ihnen.
»Nehmen Sie kein Gepäck mit«, riet Wirtz dem Landser, »schnallen Sie sich einen Brotsack um und eine MP nebst fünf Magazinen. Das wird
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