Heimaturlaub
reichen. Sollten Sie Gefahr laufen, in Gefangenschaft zu geraten, so vernichten Sie alle Papiere, die wir Ihnen mitgeben.«
Die Augen des Jungen glänzten noch mehr, als er jetzt sagte: »Keine Sorge, Herr Leutnant – ich komme schon durch!«
»Wissen Sie den Weg?«
»Jawohl. Ich habe mir von Unteroffizier Kalten eine Karte geben lassen. Zuerst nach St. Vith, dann ein Bogen nach Westen, und dann wieder südlich … wenn ich bis zur Urft komme, bin ich schon gerettet.«
»Nicht übel.«
Wirtz hatte sich über die Karte auf dem Tisch gebeugt und den angegebenen Weg aufmerksam verfolgt. »Ich glaube jetzt selbst, daß es Ihnen gelingt. Aber nur Ihnen und Fräulein Brandes … zu mehreren ist das unmöglich. Allenfalls könnte noch Oberleutnant Wüllner …«
Mit einer Handbewegung schnitt Heinz Wüllner die Rede ab.
»Sie sind wohl verrückt? Ich bleibe!«
»Sie sind verwundet. Sie brauchen ärztliche Pflege. Ich kann es nicht verantworten, Sie weiter bei meiner Kompanie zu belassen.«
Wüllner schüttelte den Kopf.
»Ich bin Ihnen nicht zugeteilt, sondern im selbständigen Einsatz. Ich komme für mich und meinen Kameraden selbst auf. Und wenn ich verwundet bin, so bin ich nicht der einzige. Die Hälfte der Kompanie ist verwundet.«
»Ich sagte ja auch schon, daß nicht alle … vielleicht Sie noch und ein Feldwebel …«
»Lassen Sie den Feldwebel als Anstandswauwau ruhig weg! Ich gehöre zur Truppe und bleibe bei der Truppe. Denken Sie, ich lasse Sie jetzt in dieser Lage im Stich? Es ist über diesen Fall kein Wort mehr zu verlieren, Herr Leutnant!«
Dieser Ton klang anders. Das war ein Befehl.
Leutnant Wirtz klappte die Hacken zusammen und sagte fest: »Zu Befehl, Herr Oberleutnant!«
Der junge Landser hatte sich nicht gerührt; auch Hilde nicht, die in einer Ecke des Bunkers hockte und aus großen, starren Augen zu Wüllner hinblickte. Sie kannte Heinz nicht wieder. Das war nicht das Schnöselchen, das im Tiergarten einen Schneemann baute. Das war ein Mensch, der keine Kompromisse kannte, der konsequent war bis zum Zerbrechen.
»Kann ich mich fertig machen? Oder haben Herr Oberleutnant noch einen Wunsch?«
Der Landser wurde unruhig. Schließlich wollte er noch einen Brief schreiben an ein Mädchen, das in Dresden in einer Bäckerei hinter der Theke stand und acht Stunden lang Mischbrot verkaufte. Beim letzten Urlaub hatte er dort seine Brotkarte umgesetzt, aus dem Brot wurde ein vergnügter Abend, aus dem Abend eine Liebelei, und als er eines Morgens erwachte, lag er neben ihr im Bett und hatte nichts anderes an als einen Sockenhalter. Tja, wie es Soldaten eben so geht … jetzt mußte er ihr schreiben, und sie schrieb ihm wieder … mein geliebter Fritz, mein Süßer, mein Schatzi, schickte ihm Kuchen und tausend Küsse und wartete darauf, bis er wieder bei ihr war, nur bekleidet mit einem Sockenhalter …
Wüllner nickte ihm zu.
»Sie können abtreten. In einer Stunde melden Sie sich bei MG-Stand III.«
Der Junge grüßte stramm und drehte sich um. Da sprang Hilde aus ihrer Ecke auf und sagte laut:
»Ich gehe nicht mit.«
Alle, selbst das Bürschchen, wirbelten herum. Hilde trat in die Mitte des Bunkers.
»Genauso wie der Oberleutnant gehöre ich zur Truppe.«
»Sie sind als Nachrichtenhelferin nicht fronteinsatzpflichtig!«
Wüllner schob den Leutnant einfach zur Seite und trat einen Schritt auf Hilde zu. Ganz nah stand er jetzt vor ihr. So nah, daß sie aufblicken mußte, wollte sie sein Gesicht sehen. Unerbittlich ragte sein hoher, breiter Körper vor ihr auf. Aber seine Stimme war leise, so leise, daß man sie kaum verstand, aber von einer solchen Kraft des Ausdruckes, daß Hilde die Augen schließen mußte.
»Du gehst«, hörte sie ihn sagen. »Ich will, daß du gehst! Weigerst du dich, dein Kind für mich zu retten, so sage ich mich von dir los, kenne dich nicht mehr …«
»Heinz!!« rief Hilde. »Das kann nicht dein Ernst sein!«
»Du gehst?« fragte er zurück.
Da begann ihr ganzer Körper zu zittern, die Hände bebten, ihr Mund aber flüsterte:
»Ja. Ich gehe …«
Leise, auf Zehenspitzen, schlich der Landser hinaus. Erst draußen dehnte er die Arme und blickte in den abendlichen fahlen Himmel. Er wußte, was es hieß, Abschied zu nehmen. Auch die Erna aus Dresden hatte am Zug so geweint und dabei das Brot in den Händen gehalten. Als er es dann später während der Fahrt abschnitt und hineinbiß, schmeckte es ganz salzig. Ja, ja, die Erna …
Eine Stunde später waren
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