Heimkehr
Hinterläufe a u f. Die Krallen an seinen Tatzen gruben sich tief in den Steinboden ein, und sein peitschender Schweif schlängelte sich durch das halbe Geviert. S e ine s ma r agdfarbenen Schwingen öffne t en sich weit gespreizt und s t ützten d i e Decke hoch über uns. Sein Reptilienhals endete in einem Kopf von der Größe eines Ochsenkarrens. In den glänzenden, silbernen Augen glitzerte wache Verständigkeit. Seine kleineren Vorderläufe u m klammerten den Griff eines großen Korbes. Er war kunstvoll m it Bögen a u s Jade und Bändern aus Elfenbein verziert. In dem Korb lehnte sich gelassen eine Frau zurück. Sie strahlte eine beinahe übernatürliche Hoheit aus. Sie war nicht schön, aber die Macht, die der Künstler in ihr zum Ausdruck brachte, ließ so etwas wie bloße Schönheit vergessen. Sie war weder jung noch begehrenswert. Sie war eine Frau, die ihre Blüte lange überschritten hatte, aber die Linien, die der Bildhauer ihr ins Gesicht ge me ißelt hatte, s c hienen Furchen der Weisheit auf ihrer Stirn zu sein und F ä ltchen des Denkens in ihren Augenwinkeln. Über ihren Augenbrauen und auf ihren hohen Wangenkno c hen saßen J u welen, die das Schuppenmuster des Drachen nachzua h men schienen. Das war keine seelenlose Darstellung von Sas weiblichem Wesensanteil. Ich wusste ohne jeden Zweifel, dass diese Statue erschaffen worden war, um e i ne irdis c he Frau zu ehren, und das erschütterte m i ch bis ins Mark. Der geschmeidige Hals des Drac h en war so gearbeitet, dass seine Kopfhaltung ih m erlaubte, die Frau zu betrachten. Und sogar das Reptilienantlitz bezeigte derjenigen Ehrfurcht, die er in den Klauen trug.
Ich hatte noch nie e in solch e s Frauenbi l dnis zu Gesicht bekommen. Zwar hatte ich fre m d e Legenden von Kurtisanen-Herrscherinnen und machtvollen Königinnen gehört, aber es s c hienen i mmer Erfindungen irgendwelcher barbarischen und wilden Völker zu sein, die von v e rführerischen Weibern m it bösen Absichten kündeten. Diese Frau hier strafte all diese Legenden Lügen. Eine Weile hatte ich nur Augen für sie. Dann kam i c h wieder zu m ir und besann m i ch auf meine Pfl i c hten.
Der kleine Carl m in stand in einiger Entfernung von uns und lächelte selig. Er presste seine kleine Hand gegen die Täfelung einer Säule. Seine Haut schimmerte in diesem unnatür l ichen Licht wie Eis. S e ine winzige Gestalt setzte die Halle in den richtigen G r ößenbezug, und p l ötzlich sah ich all das, was d i e Frau und der Drache bisher verborgen hatten.
Das Licht strö m te aus blassen Sternen und aus fl ie genden Drachen von der Decke. Es kroch aus Kletterpflanzen auf den Wänden und u m rah m te vier Durchgänge, hinter denen dunkle Korridore lagen. Ausgetrocknete Brunnen und Statu e n waren überall auf dem gewaltigen, staubigen Boden verteilt. Dies hier war ein riesiges, überdachtes Forum, e i n Ort, an dem sich die Menschen versammel t en und plauderten oder einfach nur m üßig zwischen den Brunnen und Statuen flanierten. Kleinere Säulen trugen verschlungene Klet t erpflanzen mit Blät t ern aus E l fenbein und Blüten aus Karneolen. Die Skulp t ur eines fliegenden Fisches trotzte dem trockenen Becken unter ihr. M odernde Schuttres te , die überall in der Halle he r u m l agen, deuteten auf frühere Holzaufbauten, Bänke oder Bühnen h i n. Doch weder Staub noch Zerfall konn t e die eisige Schönheit dieses Ortes ersticken. Ausmaß und Eleganz dieser Halle raubten m i r den Atem und weckt e n eine verzagte Ehrfurcht in m ir. Menschen, die einen solchen Raum zu erschaffen i m stande waren, gingen nicht einfach so unter. We l ches Schicksal hatte die Lebewes e n ereilt, deren Magie einen Saal erhellen konnt e , noch viele Jahre nach ihrem Ende? Bedrohte uns vielleicht dieselbe Gefahr, die auch sie vernichtet hatte? Was war es g e w e s e n ? W a ru m ware n sie verschwunden? Waren sie überhaupt verschwunden?
Wie in der Kammer oben fühl t e es sich an, als wären die Bewohner einfach gegangen und hätten all ihre Kunstwerke zurückgelassen. Erneut verrieten die schlammigen Spuren auf dem Boden, dass die Kinder schon einmal hier gewesen waren. D i e meisten Spuren führten zu einer bestim m t en Tür.
»Ich wusste nicht, wie gewalt i g dieser Saal ist.« Petrus' hohe Sti m me klang seltsam schrill in dem riesigen Raum.
Er starrte die Lady und i hren Drachen an. Dann drehte er sich langsam um seine eigene Achse und blickte zur Decke e m por. »Wir m ussten hier F a ckeln
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