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Heimkehr in Die Rothschildallee

Heimkehr in Die Rothschildallee

Titel: Heimkehr in Die Rothschildallee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stefanie Zweig
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Strümpfe und Unterwäsche, grübelte über Recht und Ungerechtigkeit nach und machte ihrem toten Mann Tag für Tag Vorwürfe, dass er »die Dinge, die kommen mussten, nicht hatte kommen sehen« und »bis zuletzt aufs falsche Pferd gesetzt« hätte. Mindestens zwei Mal in der Woche schrieb Frau von Hochfeld ausführliche Eingaben sowohl an die deutschen als auch an die amerikanischen Behörden. Es war ihr Bedürfnis, ausführlich darzulegen, dass sie weder in der Partei noch in einer anderen nationalsozialistischen Organisation gewesen war. Sie bat, »ihren berechtigten Anspruch auf die Benutzung eines weiteren Zimmers ihrer Wohnung wohlwollend zu prüfen«.
    Ihr Schlaf-Wohnzimmer hatte Adelheid mit so vielen Möbeln eingerichtet, wie sie vor ihren aufoktroyierten Mietern hatte retten können. Von der breiten Chaiselongue, die sie in der Nacht hastig verlassen hatte, war das Bettzeug weggeräumt, die standesgemäßen Seidenkissen und das violette Wollplaid, das mit den Gardinen korrespondierte, lagen an ihrem Platz. Am Fenster stand ein zierlicher Damenschreibtisch aus dem späten 18. Jahrhundert, griffbereit in einem geblümten Porzellangefäß war ein Gänsekiel mit Schreibfeder. Auf das silberne Tintenfass, ein Erbstück ihrer Großtante Amalie in Würzburg, war sie besonders stolz. Noch vor einer Stunde hatte ein silberner Fotorahmen mit einem Porträt des toten Generalmajors in Uniform und mit allen Orden auf dem Schreibtisch gestanden. Als seine Witwe Kaffee einschenkte, stellte Fritz fest, dass das Bild verschwunden war. Obwohl er gerade das nicht wollte, lächelte er; es genierte ihn, als er gewahr wurde, dass Adelheid ihn beobachtete.
    »Der Kaffee aus dem PX«, schwärmte sie beim ersten Schluck, »ist jede Sünde dieser Welt wert.«
    »Nicht jede«, antwortete er.
    »Wann willst du fahren und wie?«
    »Wenn ich das wüsste, wäre mir wohler! Ich weiß nur, dass ich in acht Tagen zum ersten Mal vier Tage am Stück frei habe. Die muss ich unbedingt nutzen. Sonst heißt es sechs Wochen warten, bis ich wieder dran bin. Ich meine, ein Vater braucht mindestens vier Tage, um seine Tochter kennenzulernen. Wenn wir uns auf der Straße begegnen würden, würden wir aneinander vorbeigehen.«
    »So ging’s mir mit meinem Cousin, als er aus dem französischen Gefangenenlager im Badischen kam. Er war vollkommen verändert. Ich hab ihn nur noch an der Stimme erkannt.«
    Es gab noch keinen regelmäßigen Eisenbahnverkehr zwischen Nürnberg und Frankfurt. In der Fahrbereitschaft für die Bediensteten des Militärtribunals gab es jedoch einen außergewöhnlichen Mann, dem es so viel Freude machte, Gutes zu tun, als wäre er gerade als Pfadfinder aufgenommen worden. Washington Gaylord Jones hieß er, war Corporal, stammte aus Charleston und hatte seiner Mutter, deren ältester Sohn in den Ardennen gefallen war, in die Hand versprochen, »jedem verfluchten Deutschen in seinen dreckigen Hintern zu treten«. Kaum im Feindesland, war Washington Gaylord allerdings wortbrüchig geworden. Für den Fall, er könnte abgerissenen Kindern mit bettelnden Augen oder gar einem schönen deutschen Frollein begegnen, das ihn seine Sehnsucht nach seinen drei kleinen Töchtern und dem Käsekuchen seiner »Mum« wenigstens kurz vergessen ließ, ging er nie ohne Kaugummi, Schokolade und Zigaretten auf die Straße.
    Fritz hatte den passionierten Philanthropen durch einen jener absurden Zufälle kennengelernt, die typisch für eine Zeit waren, in der sich die Menschen weder auf ihre Erfahrungen noch auf ihren Instinkt und schon gar nicht auf ihre Hoffnungen verlassen konnten. Corporal Jones hatte ihn in der Kantine angesprochen und sehr ausführlich und sehr bewegend von seiner Heimat und seinem Heimweh erzählt. Er hatte sein Erdbeereis schmelzen lassen, drei Tassen Kaffee getrunken, die vierte über seine Hose gegossen, den Koch einen »bloody bastard« genannt und Fritz stammelnd gebeten, in seinem Namen einen Brief an seine Frau zu schreiben. Mrs Jones waren nämlich so starke Zweifel an der Treue ihres Mannes gekommen, dass sie ihm mit Scheidung gedroht hatte. Washington war indes ein Mann der Tat, nicht der Schrift – für das fällige Dementi nach Charleston brauchte er, wie er klarsichtig erkannt hatte, »einen Mann mit Grips, der sich in der Welt auskennt«. Dass er mit Fritz die richtige Wahl getroffen hatte, bewies der Antwortbrief von Mrs Jones. Ihrem beglückten Mann schwor sie postwendend Liebe und Treue bis in den Tod. Zum guten

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