Heimlich
Ich ließ sie bis zu ihrem Wagen gelangen, sah zu, wie sie ihre Schlüssel aus der Tasche angelte, dann rannte ich hin und riß sie ihr aus der Hand, als sie gerade die Tür aufschließen wollte. Sie widersetzte sich erst, dann gab sie auf. Sie lächelte geduldig und verlagerte ihr Gewicht auf den Stock. »Du hast nie zugehört, Freddy«, sagte sie.
»Ich hab’ besser zugehört, als du weißt«, entgegnete ich.
»Nein, hast du nicht. Du hast nur das gehört, was du hören wolltest. Und du hast mich überzeugt, du würdest zuhören. Du warst ein guter Schauspieler.«
Mir fiel keine Retourkutsche ein, keine bissige Bemerkung, keine flehentliche Bitte. Also wich ich ein paar Schritte zurück, um objektiv zu erscheinen, und sagte schlicht: »Es geht wieder los. Ich habe Eddie Engels mit einer Frau in Verbindung gebracht, die neulich ermordet wurde. Ich werde der Sache nachgehen, egal, wo das hinführt. Vielleicht können wir wieder Zusammensein, wenn das alles vorbei ist.«
Lorna war vollkommen reglos. »Du bist wahnsinnig«, sagte sie.
»Es lastet wie ein Fluch auf uns, Lorna. Vielleicht finden wir Ruhe, wenn es vorbei ist.«
»Du bist wahnsinnig.«
»Lorna -«
»Nein. Wir können nie wieder Zusammensein; und nicht wegen der Dinge, die vor vier Jahren passierten. Wir können nie wieder Zusammensein, weil du so bist wie du bist. Nein, faß mich nicht an und versuch nicht, mich einzuwickeln oder Süßholz zu raspeln. Ich steig’ jetzt in mein Auto, und wenn du versuchst, mich daran zu hindern, wird es dir leid tun, daß wir uns je getroffen haben.«
Ich gab Lorna ihre Wagenschlüssel. Ihre Hand zitterte, als sie sie entgegennahm. Sie wurstelte sich in ihren Wagen und fuhr los, wobei sie mir Auspuffwolken über die Hosenbeine blies.
»Nichts ist jemals vorbei, Lorna«, sagte ich in die Luft. Aber ich wußte nicht, ob ich das glaubte.
Wir fuhren ohne Verdeck auf dem San Bernardino Freeway nach Osten, weg von den stickigen, sonnenblinden Straßen Los Angeles’, an einer Reihe von zusammengewachsenen Arbeitervororten vorbei, die sich über ein Gebiet erstreckten, das von den sandigen Ebenen bis zu den Nadelwäldern reichte. Ich saß am Steuer, Michael neben mir auf dem Vordersitz, und Doc hatte sich auf dem Rücksitz ausgebreitet, seine langen Beine lagen auf dem rechten Türrahmen. Michael hatte einen Arm schützend um seine Fußgelenke gelegt und tappte zum Rhythmus des Boogie-Woogie, den eine Big Band im Radio spielte.
Wir fuhren auf kurvenreichen Straßen durch einen Nadelwald hoch, und die Luft, die an uns vorbeijagte, wurde heißer und dünner. Lake Arrowhead war ursprünglich unser Ziel, aber es schien uns allen egal, ob wir je dahin kämen; wir hatten uns in einem Spiel der Stille verirrt - Doc und ich wußten beide, daß der andere es auch wußte, aber was? Und beide hatten wir bis dahin keine Lust, es weiter zu verfolgen. Und Michael wand seinen langen Hals oberhalb der Windschutzscheibe und bekam einen heftigen Schwall Sommerluft ab, den er wie Treibstoff für seine blühende Phantasie einsog.
Am Ende der abfallübersäten Zugangsstraße tauchte Lake Arrowhead abrupt auf. Er schimmerte hellblau wie eine Fata Morgana in der Hitze und war mit Ruderbooten und Schwimmern übersät. Ich hielt am Straßenrand an und wandte mich meinen Mitfahrern zu.
»Also«, sagte ich, »hier oder weiter hinten?«
»Weiter hinten!« riefen beide einstimmig aus, und ich gab Gas, fuhr um die blaue Oase und auf einem weitläufigen Sträßchen durch kleine Bergketten, die sich übereinander türmten.
Aber bald setzte mein nüchterner Verstand wieder ein. Wir waren meilenweit von Los Angeles entfernt, und ich hatte etwas zu tun. Ich wurde langsam nervös und sah mich nach einem ruhigen, schattigen Plätzchen um, an dem wir halten und die belegten Brote essen konnten, die ich gerichtet hatte. Fast als Antwort auf meine Unruhe tauchte es vor uns auf: »Jumbos Tierpark und Rastplatz«. Es sah wie die Kulisse eines Westerns aus: eine einzige Straße mit böse zugerichteten Holzhäusern, dahinter ein kleines Wäldchen mit vielen Picknick-Tischen. Ein verwittertes Schild am Eingang schrie uns entgegen: »Weihnachten im Sommer! Besichtigen Sie die Rentiere des Weihnachtsmannes bei Jumbo!«
Als ich auf den Parkplatz fuhr, stupste ich Michael in die Seite. »Glaubst du noch an den Weihnachtsmann, Mike?«
»Er hat es nicht gern, wenn man ihn Mike nennt«, sagte Doc.
»Es macht mir nichts aus«, widersprach Michael, »aber der
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