Heimliche Hochzeit um Mitternacht (German Edition)
eine burgunderfarbene Satinrobe gehüllt, die bereits Cecily in jungen Jahren gut zu Gesicht gestanden hatte, kam sie in den Speisesalon, wo St. John bereits auf sie wartete. Er erhob sich unverzüglich und küsste ihre ausgestreckte Hand.
„Wie immer hocherfreut, meine Liebe.“ Er wandte sich um und betrachtete die ruinierte Seidenmalerei an den Wänden. „Gütiger Gott, was ist denn hier geschehen?“
Miranda setzte sich und nahm einen herzhaften Schluck Rotwein, bevor sie antwortete: „Meine erste Tat als die neue Herrin von Haughleigh Grange war heute, die Haushälterin zu entlassen. Meine zweite, die Wandbespannungen im Speisesalon zu zerstören, indem ich die Anweisung gab, sie zu reinigen.“
„Diese Tapisserien hat einst der zweite Duke of Haughleigh aus Frankreich mitgebracht.“
„Sehr teuer?“
„Unersetzlich.“
„Oh. Und was wird der jetzige Duke of Haughleigh sagen, wenn er bemerkt, dass sie nicht mehr zu gebrauchen sind?“ Sie hielt den Atem an.
„Ich denke, Sie haben mir einen großen Gefallen getan. Er wird einen Schlaganfall erleiden, Sie als Witwe zurücklassen, und ich werde der fünfte Duke of Haughleigh sein. Ich werde Sie natürlich von jeder Schuld freisprechen. Die Tapeten sind selten hässlich, auch wenn sie ein Vermögen gekostet haben.“ St. John streckte die Hand aus und löschte einige Kerzen auf dem Tisch, damit es um sie herum dunkler wurde und die Schandflecken nicht mehr so ins Auge fielen. „Das ist besser. Finden Sie es nicht ebenfalls viel intimer?“
Miranda lachte, obwohl ihr eigentlich nicht danach zumute war. Ihr Schwager schien guter Dinge und unterhielt sie während des Dinners mit Charme und Witz.
Nach dem Mahl erhob St. John sich und bot Miranda den Arm. „Wollen wir uns in den Salon zurückziehen, meine Liebe, oder sind Sie an einer kurzweiligeren Beschäftigung interessiert? Ich könnte Sie zum Beispiel durch das Haus führen.“
„In den anderen Räumen ist es dunkel“, gab sie zu bedenken.
„Die Dienstboten könnten vorausgehen und Licht machen. Es ist letztlich ihre Aufgabe, Miranda, Ihren Befehlen zu gehorchen. Aber ich denke, wir beschränken uns auf einen Raum, und zwar die Galerie, um die Lakaien nicht über Gebühr zu beanspruchen. Und Sie werden etwas dazulernen.“
„Das ist eine vorzügliche Idee, St. John.“
Er klingelte nach dem Butler, erklärte ihm, was es an Vorbereitung bedurfte, und eskortierte sie anschließend hinauf ins zweite Geschoss. Vor Ort angelangt, begann er ihr Geschichten über seine Ahnen zu erzählen.
Indessen betrachtete sie das Porträt einer Dame, die unverkennbar die Mutter von St. John war: Sie besaß ebenso strahlend blaue Augen wie er, nur ihr Haar war im Gegensatz zu seinem fast weißblond. Sie sah genauso hübsch aus, wie Cecily sie ihr beschrieben hatte, und Miranda versuchte irgendein Zeichen in ihren Zügen zu erkennen, das sie als eine Frau mit zwiespältigem und zweifelhaftem Charakter auswies. Doch sie fand nichts Derartiges. Das Antlitz der vormaligen Duchess strahlte vor Liebreiz und natürlicher Schönheit.
Marcus’ Porträt hing gleich neben dem seiner Mutter. Selbst auf einem Bild, das der Nachwelt erhalten werden sollte, lächelte er nicht. Als das Gemälde entstanden war, musste er einige Jahre jünger gewesen sein als jetzt; seine Schläfen waren noch nicht silbern, und sein Gesicht zeigte kaum Linien. Der Blick jedoch war unverändert – eindringlich und ernst. Der Duke hat Augen, denen nichts entgeht, dachte sie bei sich. Er schien jeden, der vor dem Bild stehen blieb, genau zu betrachten und ihm tief in die Seele zu blicken.
Sie erschauderte. Wenn er sie doch nur einmal anlächeln würde, dann wäre dieser Blick nicht so beunruhigend. Während der Hochzeitszeremonie hatte sich Freundlichkeit in seinem Gesicht widergespiegelt, auch, als er sie auf seinen Armen in ihr Schlafzimmer getragen hatte. In diesen Augenblicken war nichts Beängstigendes an ihm gewesen – ganz im Gegenteil; sie hatte sich geborgen und beschützt gefühlt, und dies machte ihr Mut und stimmte sie neugierig. Vielleicht würden sie einander vertrauter und herzlicher begegnen, wenn er aus London zurückkam.
Falls er nach Hause kam.
Nur schwer vermochte sie sich von seinem Bildnis zu lösen, um den Gang weiter entlang zu St. John zu schreiten, der gerade in die Betrachtung eines Frauenporträts vertieft war. Als er zu Miranda hinsah, waren seine Augen feucht.
„Ich bitte um Verzeihung“, wisperte sie.
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