Heimstrasse 52
sie Sprungwürfe üben, Korbleger, Crossover, sie mag es, wenn ihr Schweiß auf den Beton des Platzes tropft und wenn der Ball geräuschlos durch den nackten Ring fällt.
Fuat sitzt mit einigen Freunden am Bach, und sie tun, was sie früher schon am Bach getan haben, Rakı trinken, Honigmelone und Schafskäse essen, rauchen und reden. Adem ist ebenfalls dabei, der Einzige unter ihnen, der nicht trinkt. Mir wird schlecht von dem Geruch, sagt er und verzieht das Gesicht, wenn ihm jemand ein Glas unter die Nase hält.
Duygu liegt im Wohnzimmer und schläft, der Boden des Topfes ist schon mit gefüllten Weinblättern bedeckt, als Gül sagt:
|248| – Irgendetwas ist doch, oder?
– Ja, sagt Ceyda, ohne hochzuschauen, ich bin wieder schwanger.
Gül legt ihr Weinblatt hin, steht auf und umarmt ihre Tochter, die Hände abgespreizt, um ihr keine Flecken auf die Kleidung zu machen.
– Das ist doch schön, sagt sie und versucht sich selber einzureden, dass Ceydas Laune auf die Hormone zurückzuführen ist.
– Ja, sagt Ceyda, und einige Momente lächelt sie. Momente, in denen sich ihre Augen schon füllen, obwohl sie sich Mühe gibt, ihre Miene zu beherrschen. Dann klingt es ganz kurz, als würde sie lachen, einen halben Atemzug lang vielleicht, dann bricht sie in Tränen aus, und Gül nimmt sie erneut in den Arm, die Hände immer noch abgespreizt.
– Weine nicht, mein Schatz, weine nicht, es gibt für alles eine Lösung, weine nicht, mein Herz, erzähl mal, was los ist. Schsch, beruhig dich, sagt sie, doch gleichzeitig ist ihr bewusst, dass sie beide sich schon lange nicht mehr so nah waren. Ceyda, die Kühle, die sich so gut im Griff hat. Gül erinnert sich an ihren Schrei:
Mama
.
Wie die Erinnerung an Klänge Schmerzen hervorholen kann.
Die Zeit heilt keine Wunden, sie lässt einen nicht Schmerzen vergessen, sie begräbt sie nur unter noch mehr Leben, aber genau wie der Klang, einmal ausgesprochen, für immer in der Welt ist, bleiben die Schmerzen in alle Ewigkeit bestehen. Sie schwingen nach, und selbst wenn man glaubt, man habe sie vergessen, dann holt eine Musik sie hervor und reibt sie ans Herz, als wären sie glühende Kohlen, die man mit Nägeln gespickt hat.
Herzen brechen nicht, auch wenn man das so sagt, genauso wenig wie Klänge und Schmerzen verschwinden. Herzen sind weich, sie können nicht brechen, sie werden nur |249| schwerer und schwerer, und Gül glaubt ihres manchmal kaum noch tragen zu können.
– Weine nicht, mein Herz, ich bin da.
Es braucht mehrere Taschentücher, bis Ceyda sich beruhigt hat. Ihre Augen sind rot und geschwollen, sie zieht die Nase hoch, und nachdem sie sich das Gesicht am Spülbecken gewaschen hat, gibt Gül ihr Kölnisch Wasser, damit sie sich ein wenig erfrischen kann.
– Was ist denn los?
– Wir bekommen noch ein Kind, sagt Ceyda und schaut in den Topf mit den Weinblättern. Gül erinnert sich an ihre vermeintliche dritte Schwangerschaft und die Tränen, die sie damals vergossen hat. Sie wirkt geduldig, während sie ihre Tochter ansieht, doch in ihrem Kopf spielen sich Szenarien ab, schnell hintereinander, grausam, furchterregend, erschütternd und in einer Geschwindigkeit, dass Gül selbst sie kaum erfassen kann. Vergewaltigung, Schläge, Alkohol, Demütigung, zerbrochenes Geschirr, geplatzte Augenbrauen, blaue Flecken, Betrug, Kuckuckskind, Schande, Rache, Ehre, Seitensprung, kaum etwas, das ihr nicht einfällt, während ihre Tochter nach Worten sucht.
– Er trinkt nicht, sagt Ceyda als Erstes. Er trinkt nicht, nie. Als wir früher Vati aus dem Auto getragen haben, habe ich mir geschworen, keinen Trinker zu heiraten. Und ich habe es auch nicht getan. Er trinkt nicht, er schlägt mich nicht, aber manchmal wünsche ich fast, er würde es tun. Ich bin ihm egal, völlig egal. Und obwohl ich mir immer wieder sage, dass das nicht so schlimm ist, dass es viel Schlimmeres gibt, tut es weh. Es tut so weh. Ich will gar nicht, dass er es schätzt, dass ich den Haushalt mache und mich um Duygu kümmere, das ist meine Aufgabe, ich will auch nicht, dass er mich ausführt oder gar merkt, wenn ich ein neues Kleid habe.
Aber wenn ich einen Migräneanfall habe, mich den halben Tag übergebe, kommt er von der Arbeit und fragt, warum die |250| Vorhänge zugezogen sind. Ich sage ihm, warum, und er sagt nur: Aha. Dann zieht er die Vorhänge auf und setzt sich vor den Fernseher. Mama, ich könnte wahnsinnig darüber werden. Ich war mit der Kleinen beim Arzt, sie hatte seit Tagen
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