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Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod

Titel: Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Veit Heinichen
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Drakic.«
    Tatjana Drakic war plötzlich aufgestanden und bat ihn, einen Moment am Pool zu warten.
    Es dauerte gut zehn Minuten. Laurenti schaute immer wieder auf seine Armbanduhr und sah an der Fassade des Hauses empor. Es kam ihm vor, als hätte er an einem der Fenster im zweiten Stock der Ostfassade, die jetzt schon im Schatten lag, wieder ein Gesicht gesehen, das zu ihm hinunterschaute. Eines, oder waren es zwei? Wer waren all die Mädchen in dem Haus, das ja nicht gerade wie ein Bordell aussah? Er hörte eine Frauenstimme, die Befehle gab, dann kam Tatjana Drakic zurück. »Wenn Sie mir bitte folgen wollen.«
    Sie ging voran. Durch das türkisfarbene Seidentuch schimmerten die Konturen ihres Körpers. Eigentlich war er mehr am Haus interessiert und versuchte von dem Salon, durch den er geführt wurde, möglichst viel zu erfassen. Es war ein durch und durch konservativ-bürgerlich eingerichteter Raum, der von großem Wohlstand zeugte, sonst aber nichts verriet. In der Villa herrschte Stille. Sie gingen einen langen Flur entlang, ein Teppich dämpfte die Schritte. Dann eine zweite Treppe, die Proteo noch nicht kannte. Der Flur im ersten Stock unterschied sich durch nichts von dem im Erdgeschoß. Die zweite Tür auf der linken Seite war von innen gepolstert und führte in das Arbeitszimmer des Österreichers. Sein Fenster wies nach Norden und versprach nicht die Aussicht über die Stadt, die Laurenti sich erhofft hatte. In solchen Häusern erwartet man spektakuläre Ausblicke. Die Gebäude sind schon beeindruckend genug, also meint der Besucher, von jedem Fenster aus müsse es einen einzigartigen Blick geben. Nichts lenkt den konzentrierten Blick ab. Der Raum maß etwa sieben auf fünf Meter und war gut vier Meter hoch. Das glänzende Parkett war von keinem Teppich bedeckt. Ein schwerer Schreibtisch, wie sie in der Mitte des letzten Jahrhunderts in den Chefzimmern der großen Triestiner Firmen gestanden haben mußten, befand sich in der Nähe des Fensters. Ein weniger stilgerechter, schwerer Ledersessel stand hinter ihm. In einer anderen Ecke befanden sich eine alte englische Ledergarnitur, zwei Sessel, Sofa und ein kleiner hölzerner Tisch, auf dessen Mitte ein überdimensionierter Aschenbecher aus blaurotem Muranoglas stand. An der Wand zum Flur war links und rechts der Tür eine hohe Bibliothek eingebaut, in der kaum Bücher standen, und an der Wand gegenüber dem Schreibtisch hing ein Stahlstich von Istrien.
    Das Zimmer war, wie Laurenti befürchtet hatte, peinlich aufgeräumt, doch war erkennbar, daß es nicht erst soeben in Ordnung gebracht worden war. Nicht einmal ein leeres Blatt lag auf dem Schreibtisch. Neben einer ledernen Schreibtischunterlage und einer Schale mit Schreibzeug stand lediglich ein modernes Telefon. Unter dem Schreibtisch lagen zwei lose Kabel, die darauf schließen ließen, daß hier vermutlich ein tragbarer Computer seinen Platz hatte. Laurenti ging zum Schreibtisch, vielleicht etwas zu schnell, denn er hörte die eiserne Stimme der Tatjana Drakic. »Sie sehen selbst, hier gibt es nichts zu entdecken.«
    Sie mußte begriffen haben, daß er am liebsten die Schreibtischschubladen geöffnet und durchsucht hätte, dagegen hörte er schon an dem Tonfall ihrer Stimme, daß sie ihm diesen Wunsch nicht erfüllen würde.
    »Haben Sie die Adresse und Telefonnummer des Sohnes?« fragte Laurenti unvermittelt. Er hoffte, daß sie eine der Schubladen öffnete, um ein Blatt Papier zu entnehmen und sie aufzuschreiben.
    »Wiedener Hauptstraße 14, Wien. Telefon 479825342.«
    Laurenti stutzte. Tatjana kannte die Adresse des Sohnes, von dem sie noch eben gesagt hatte, daß ihre Beziehung nicht besonders eng sei, auswendig. Und sie schien außerdem Deutsch zu sprechen, folgerte Laurenti, denn sie sprach die Adresse fließend und ohne zu holpern aus.
    »Verzeihung, ich habe nichts zu schreiben dabei.« Laurenti gab wider besseres Wissen nicht auf, er wollte einen Blick in die Schubladen werfen. Aber es war nichts zu machen.
    »Ich schreibe sie Ihnen unten auf.« Tatjana hatte die Türklinke in die Hand genommen, und Laurenti gehorchte. Sie ging wieder den langen Flur entlang, die Treppe hinunter, und hielt an einem Telefontischchen. Sie schrieb mit flüssiger Handschrift die Adresse auf ein Blatt, das sie von einem Block abriß, und hielt es Laurenti hin.
    »Sie entschuldigen mich jetzt bitte«, sagte sie. »Ich habe zu tun.«
    Laurenti fragte sich, was das wohl sein könnte, aber er sah ein, daß Fragen

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