Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Sattel einer Vespa liegend, Livia vor dem Teatro Verdi mit einem lächerlichen Lacktäschchen in der Hand, Livia am Strand mit einer Taschenbuch-Ausgabe der »Madame Bovary« in den Händen und der ins Haar gesteckten Sonnenbrille. So spießig. Geschmacklos! Nicht zu fassen! Aber es waren nicht nur die Fotos, die Proteo zum Kochen brachten. Als Alibi gab es dazu noch einen schrecklichen Bericht und ein dämliches Interview. Alles gedruckt auf holzhaltigem Billigpapier mit graugelbem Stich, auf dem die Farben abgesoffen waren. »Porno, Softporno«, brummte Laurenti wütend, während er das verkitschte Porträt seiner Tochter las.
Livia Laurenti
Süß und romantisch, sensibel und gefühlvoll (vielleicht liest sie deswegen moderne Literatur), ein Zwilling mit Aszendent Krebs – delikat. Livia sagt von sich, sie sei eine unkomplizierte Persönlichkeit und es genügten ihr wenige Dinge im Leben. Sie ist zwanzig Jahre alt und studiert im dritten Semester Literaturwissenschaft. Ihr Hobby ist selbstverständlich die Literatur, und alle fremden Sprachen interessieren sie. Sie spricht Englisch und Deutsch, auch Spanisch. Und sonst, sagt sie, liebt sie das Meer und die Tiere. Livia arbeitet halbtags in einer Galerie, als Mädchen für alles. Sie würde auch gerne in einer Bar bedienen, aber ihre Eltern sind damit nicht einverstanden. (Ihr Vater ist Polizist.) »Menschen machen mich neugierig«, sagt sie, »und wo trifft man mehr, als in einer guten Kneipe. Aber auch die Arbeit in der Galerie gefällt mir gut, doch muß man sehr auf die Form achten. Drinks mixen ist einfacher als Kunst verkaufen.« Livia würde gerne Schriftstellerin oder Journalistin werden. »Mir gefällt die Vorstellung, an jedem Ort der Welt mein Geld verdienen zu können. Frei zu sein, das ist wichtig!«
»Es ist doch eher ungewöhnlich, daß ein Mädchen wie du, sensibel und gefühlvoll, an einem Schönheitswettbewerb teilnimmt, an der ›Miss Triest 1999‹.«
»Ja, das ist wahr, das heißt einfach, daß ich die Ausnahme von der Regel bin! Aber Scherz beiseite, an ›Miss Triest‹ teilzunehmen mache ich zum Vergnügen. Ich möchte wissen, wie das ist, wenn einen alle anstarren. Es erwartet mich nichts anderes als eine neue Erfahrung, eine Menge Vergnügen und die Möglichkeit einer persönlichen Horizonterweiterung.«
»Und was würdest du tun, wenn du gewinnst?«
»Ach, gewinnen ist nicht so wichtig, aber es würde mich freuen. Wenn ich gewinnen würde, dann änderte sich sicher viel. Die ganzen Termine und so. Vielleicht auch Angebote aus der Modewelt oder vom Film. Wir werden sehen. Und natürlich die Teilnahme an der Miss Friuli Venezia-Giulia und dann vielleicht sogar Miss Italia. Aber ich würde alles sehr sorgfältig auswählen.«
»Und was würde es für dein Studium bedeuten, wenn du gewinnst?«
»Als erstes würde ich umziehen, nach Berlin oder New York, und dort das Studium abschließen. Aber ohne Eile.«
»Was bedeutet ›Familie‹ für dich?«
»Die ist sehr wichtig. Ich liebe meine Geschwister und meine Eltern sehr. Aber man muß immer lange darum kämpfen, bis sie begreifen, daß man erwachsen ist. Irgendwann möchte ich selbst Kinder haben und einen Hund. Und ein Haus am Meer.«
»Was ist mit der ›Liebe‹?«
»Liebe ist wunderbar! Ganz wichtig! Und wenn man richtig geliebt wird, dann braucht man nicht mehr viel in seinem Leben, oder? Ich würde mein ganzes Herz sofort demjenigen schenken, der mich in der richtigen Weise erobern würde.«
»Hast du einen Freund?«
»Das ist leider schiefgegangen. Er hat mir vorgeworfen, daß ich zu viel lese, aber darauf kann ich nicht verzichten! Aber er war süß, ich bin nicht böse auf ihn.«
»Was würdest du an deinem Charakter ändern, wenn du könntest?«
»Meine Mutter sagt immer, daß ich eine sehr großzügige Kombination von ›zu gut‹ und ›zu stur‹ sei. Vielleicht wäre es gut, wenn es mir gelänge, mich weniger um die Meinungen anderer zu kümmern. Unabhängiger sein.«
»Und was ist dir ganz besonders wichtig in deinem Leben?«
»Das kann ich ganz schnell sagen: Bücher, Liebe, Freunde, Meer und Sonne.«
»Dio mio«, entfuhr es dem gepeinigten Vater, »hoffentlich gewinnt sie nicht!« Er wischte sich mit einem Taschentuch über die schweißnasse Stirn.
13.55 Uhr
Marietta kam endlich vom Mittagessen zurück und fand ihren Chef, die Füße auf seinem Schreibtisch, wie er soeben den »Mercatino« zuschlug. Ein Häufchen Elend. In Mariettas Kleidern hing noch
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