Heinichen, Veit - Proteo Laurenti 01 - Gib jedem seinen eigenen Tod
Drakic, »Zigtausende notleidende Menschen. Das muß schnell gehen!«
Laurenti traute dieser Anteilnahme, die so kalt ausgesprochen wurde, nicht.
»Hatten Sie keine Angst, daß Kopfersberg etwas zugestoßen ist?« fragte Laurenti.
»Um ehrlich zu sein: zu Anfang natürlich schon. Aber dann konnte ich es mir nicht vorstellen. Und ich kann es bis heute nicht.«
»Warum hat die Firma so große Räume?«
»Weil wir sie brauchen. Manchmal stellen wir Leute auf Zeit ein. Auch jetzt wieder. Die Sache mit der Türkei schaffen wir nicht alleine. Und Kopfersberg hat die Räume vor Jahren gekauft, damit er weniger Steuern zahlen mußte. Triest – und das wird auch Ihnen nicht entgangen sein – ist im Aufschwung, wie viele Städte an der Grenze zum ehemaligen Ostblock. Es ist zwar noch nicht viel, aber warten Sie’s ab. Ich setze auf diese Stadt. Kopfersberg auch. Da gewinnt, wer im richtigen Moment dabei ist.«
Laurenti sah dies überhaupt nicht so. Natürlich baute und renovierte man überall ein bißchen, aber seiner Ansicht nach verhinderten die konservativen Triestiner jede Veränderung, die sie aus ihrem gemächlichen Leben reißen könnte. Nur die Huren im Borgo Teresiano schienen der einzige Anschluß an die Gegenwart zu sein. Aber darüber wollte er mit Drakic schließlich nicht reden.
»Ihre Schwester war nicht sehr auskunftsfreudig bei meinem Besuch. Es hat mich irritiert, daß sie so sorglos war.«
»Sorglos? Da irren Sie sich. Vielleicht halten wir unsere Gefühle nur etwas mehr zurück. Wenn Sie die Kriege und Morde miterlebt hätten, die wir erleben mußten, wüßten Sie, wovon ich spreche.«
Laurenti traute seinem Gegenüber nicht. Wieder gab es diese merkwürdige Diskrepanz zwischen Inhalt und Ton.
»Also, sie verzehrt sich vor Sorge? Aber sie unterstützt uns nicht. Für eine Frau, die sich Sorgen um ihren Mann macht, schien sie mir eher unberührt.«
»Das mag Ihnen so vorkommen.« Drakic zuckte gleichgültig die Achseln.
»Und die vielen Mädchen in der Villa?«
»Fragen Sie Tatjana. Das weiß ich nicht. Sie führen ein aufwendiges Leben.«
»Personal, behauptet sie.«
»Dann wird es auch Personal sein. Wie gesagt, ich weiß es nicht.«
»Wohin wollte Kopfersberg?«
»Das hat er nicht gesagt. Er wollte zwei, drei Tage ausspannen, bevor der Streß mit den Containern anfängt. Dazu fährt er immer mit der Yacht hinaus. Er entspannt sich gut auf See. Und es wird eine hektische Zeit werden.« Drakic blieb noch immer ruhig und sachlich.
»Er war in Rimini!« Laurenti schaute sein Gegenüber genau an, aber in dessen Gesicht war keine Regung zu sehen.
»In Rimini?« fragte Drakic erstaunt.
»Haben Sie Geschäftsbeziehungen nach Rimini?«
»Nein. Und ich weiß auch nicht, ob er schon öfters dort war. Aber so groß ist die Adria auch wieder nicht. Da kann man auch mal nach Rimini und das Nachtleben genießen. Warum nicht? Wenn’s die eigene Frau nicht erfährt.«
»Ganz recht: warum nicht! Verdient man viel Geld mit der Vermittlung von Transportleistungen?« Laurenti wechselte gern und häufig das Thema, um irgendwann wieder an die alten Punkte anzuknüpfen und Widersprüche zu entdecken, wenn es welche zu entdecken gab. Aber Drakic war ein harter Knochen.
»Es rechnet sich. Aber es ist für eine gute Sache. Man legt nicht die üblichen Kalkulationen zugrunde, aber man muß sehr vorsichtig sein, weil nicht alle so denken. In dieser Welt ist niemand selbstlos. Wer sieht, wo Geld ist, will es auch haben.«
»Sie haben die Firma in Wien.«
»Viele Firmen haben Zweigstellen in anderen Ländern.«
»Die ATW ist keine Filiale.«
»Sie hat eine eigene Rechtsform. Bruno de Kopfersberg ist Inhaber, Spartaco Geschäftsführer. Ich nicht.«
»Aber Sie kennen Spartaco?«
»Selbstverständlich! Er ist der Sohn meines Chefs. Und ein Kollege.«
»Sowohl die ATW als auch die TIMOIC waren in einen Korruptionsfall verwickelt. Kann Kopfersbergs Verschwinden damit zusammenhängen?« Laurenti wagte sich vor.
»Schauen Sie, manchmal genügt die Leistung nicht, die man erbringt, und es bedarf zusätzlicher Aufmerksamkeit, wenn ich so sagen darf.« Drakic versuchte, ihm die Geschäftswelt zu erklären wie einem Schüler. »Alle machen das, und es war nicht strafbar, Geschenke an eine ausländische Behörde zu machen. Anders als im Inland. Wenn Sie es nicht tun, dann tut es ein anderer.«
»So einfach ist das?« Laurenti war angeekelt von der Kälte, mit der Drakic diese Machenschaften erklärte. Aber er
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