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Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Heinrich Mueller 01 - Salztraenen

Titel: Heinrich Mueller 01 - Salztraenen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paul Lascaux
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drauf: »Demokratie, an der nur noch eine Minderheit bei Wahlen und Abstimmungen teilnimmt, gilt heute als Legitimation des Anspruchs an den Staat, für das Wohl aller zu sorgen.
    Demokratisierung des Reisens bedeutet das Überfluten von historischen Stätten durch Massen von Ignoranten, die sich an wenigen Merkpunkten vorbeischleusen lassen. Aber vielleicht dienen diese allgemein akzeptierten Merkpunkte wie Venedig, der Louvre, Brügge, die Berner Altstadt zur Sensibilisierung des Massengeschmacks, vielleicht werden sie auch bloß zerstört. Wer weiß das schon. Und wer will es wirklich wissen?«

Freitag, 22.9.2006
    Am Morgen fuhren Nicole und Heinrich den Lauf der Kurzen entlang, wo das Tal immer schmaler wird, hinauf zur Wildenalp, den Weg, den Hans Bähler vergangenen Sonntag in umgekehrter Richtung genommen hatte. Die Straße zog sich über mehrere Kilometer der Bergflanke entlang, richtete sich dann plötzlich auf wie eine verwundete Schlange und fraß sich in engen Kehren den Berg hinauf bis auf 1100 Meter. Dort waren bereits die Bauern versammelt, die heute die Kühe von ihrer Sommerweide holten und einen feuchtfröhlichen Alpabtrieb feierten. Die Zeiten, in denen noch eine Chästeilet stattgefunden hatte, waren seit einer halben Generation vorbei. Nun wurde auch diese Milch in die Käserei im Schattgraben gefahren und dort zu Butter, Jogurt und Käse verarbeitet. Die ehemalige Alphütte mit dem offenen Feuer und dem schwarzrauchigen Abzug im Dach diente heute als Sommerwirtschaft für Wanderer, die hier oben picknicken und etwas trinken wollten, während die vornehmeren Gäste im Alphaus am Tisch bedient wurden.
    Ein Garten voller später Dahlien, deren Köpfe teilweise bedenklich vom Stängel hingen, empfing die beiden, als sie den Opel parkten. Und endlich die Kühe, kurz vor dem Talgang zu einer Viehschau aufgereiht, die meist hornlosen Köpfe aneinander reibend, und nur ein paar wenige behornte Königinnen hatte man mit Blumenschmuck verziert, ein verkehrter Melkschemel mit dem Letzten, was auf der Alpweide noch zu finden war. Ein bisschen mager sah es aus, hilflos, aber offenkundig mit Liebe gemacht. Königinnen für einen Tag. Müller schien es, als ob die Kühe ihren Stolz zeigten durch ein erhobenes Haupt, das deutlich über die Köpfe der anderen ragte. Aber auch die Königinnen schlugen mit den Schwänzen um sich.
    »Die Fliegen sind heute eine Plage«, sagte ein Bauer, »es liegen nasse Tage in der Luft, Nebel und Regen.«
    Er sagte es zu niemand Bestimmtem, und er brauchte dazu auch seine Brissago nicht aus dem Mund zu nehmen.
    Noch schien die Sonne klar vom Himmel, aber ihre Strahlen konnten den Morgentau nicht richtig erwärmen, der feuchte Boden konservierte die Kühle der Nacht. Als sich der Detektiv den Tieren näherte, spürte er einen stechenden Blick in seinem Rücken. Er wusste, dass er sich nach den gestrigen Gesprächen nicht mehr unbeobachtet bewegen konnte. Aber an diesem Herbstmorgen missgönnte man ihm noch den Schatten der Kühe. Um seine Verlegenheit zu verbergen, fragte der Detektiv den erstbesten Bauern: »Wie viel Milch gibt diese Kuh?« Nicole hatte ihn zu spät in die Seite gestupft.
    Der Bauer schaute Müller verständnislos an, dann antwortete er: »Das isch es Guschti. Das gibt überhaupt keine Milch.« Dann drehte er sich um und schüttelte verständnislos den Kopf, während sich über den Umstehenden ein Gelächter ausbreitete, das noch lange in Müllers Kopf nachdröhnte. Er stand da wie Butter an der Sonne.
    Nicole ermahnte Heinrich: »Wenn du das nächste Mal eine technische Frage stellst, die Kühe betrifft, besprichst du sie bitte vorher mit mir!«
    Die Tiere warteten unbeeindruckt, in Reih und Glied, einander unbekannt, und warteten auf den Richter, der ihre Muskelmasse prüfte unter dem feuchten Fell, das in den Sonnenstrahlen dampfte, der ihr Gewicht abschätzte und im Kopf bereits davon abzog, was an Gehirnmasse, Knochenmark und gut durchbluteten Innereien alles entsorgt werden musste, bevor er den Preis bestimmte für die Lebendware, die später in einen Viehtransporter verladen würde mit Lüftungsschlitzen oben, wieder in Reih und Glied mit anderen Unbekannten, quer zur Fahrtrichtung.
    So stand sie nicht in der Bibel, die Geschichte vom Jüngsten Gericht, die der Bauer seiner Frau gegenüber jeweils erwähnte, um sie vom sündhaften Leben abzuhalten, derselbe Bauer, der nun sie hier weggibt, seine Kuh, die alle sechs Jahre ihres bisherigen Lebens treu zu

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