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Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Heiraten für Turnschuhträgerinnen

Titel: Heiraten für Turnschuhträgerinnen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Filippa Bluhm
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irgendeine Naht zu sprengen.
    »Was ist?«, fragt sie leise und steckt den Kopf durch den Vorhang. Dann entfährt es ihr: »O Gott!«
    Ich habe ihr den Rücken zugewandt und starre in den Spiegel. Ich sehe aus wie eine Weißwurst, die an den Enden aufgeplatzt ist.
    »Kann ich irgendetwas tun?«
    »Du kannst die Feuerwehr rufen«, flüstere ich. »Ich komm nicht mehr raus aus dem Ding!«

[Menü]
    Noch sechs Wochen …
    Am ersten Tag nach dem Desaster bei Marlene Marc habe ich nichts anderes getan als: Kuchen essen. Morgens bin ich zum Bäcker Kronberger und habe mir zwei Stück Streuselkuchen geholt. Mittags fühlte ich mich immer noch nicht besser. Also bin ich wieder los – zwei Quarkschnitten. Am Abend war ich in meiner Selbstachtung so tief gesunken, dass ich mir zweimal Himbeer-Sahne und ein Stück Schokoladentorte holte, die ich noch im Stehen in der Küche in mich reingeschlungen hab. Am nächsten Tag das Gleiche, dieselben Kuchen, dieselbe Reihenfolge. Am übernächsten Tag: Dasselbe Muster. Streuselkuchen, Quarkschnitten, Himbeer-Sahne, Schokolade.
    Zwischendrin aß ich:

    – sechs Kabanossi
    – 245 Gramm alten Gouda
    – 361 Gramm Taleggio
    – 204 Gramm Parmaschinken
    – 217 Gramm Rosmarinschinken
    – 196 Gramm Fenchelsalami
    – einen Becher Brunch-Frischkäse mit Gurke und Dill
    – eine Familienpackung Obstgarten
    – zwei Tafeln Kinderschokolade
    – zwei Tafeln Ritter Sport Dunkle Vollmilch und
    – drei Packungen Karamellbonbons.
    Dazu kamen zwei Flaschen Riesling und zwei Flaschen Weißburgunder, zu je 9,99 bzw. 11,49 Euro.
    Ich weiß das so genau, weil ich, unmittelbar nachdem ich mich von Lala getrennt hatte, den Tränen nahe in die Feinkostabteilung von Karstadt gerannt bin und der Kassenzettel die ganzen drei Tage über auf dem Küchentisch lag. Ich weiß es auch, weil Georg ständig irgendwelche Termine hatte und keine einzige Mahlzeit zu Hause eingenommen hat. Und ich weiß es so genau, weil der Kühlschrank heute Morgen leer war.
    Okay, den Brunch mit Gurke und Dill habe ich nur aufgerissen und ihn nach kurzem Probieren dem Mülleimer übergeben. Aber das waren vielleicht 300 Kalorien von geschätzten 40 000.
    Jetzt hasse ich mich dafür, aber so richtig. Wenn es eine Flagge von mir gäbe, würde ich sie auf offener Straße verbrennen. Wenn ich ein Wein wäre, würde ich mich in den Gully kippen. Wenn ich in einem Supermarktregal stünde, würde ich mich mit einem Boykottaufruf versehen.
    Ich werde nie wieder essen. Nie wieder. Das habe ich heute Morgen beschlossen.
    Ich hätte es gern schon gestern beschlossen, aber da waren noch Taleggio und dieser köstliche Rosmarinschinken im Kühlschrank.
    Inzwischen ist es Mittag, und ich reiße die Kühlschranktür schon wieder auf, aber außer Milch, Senf, ein paar Soßen, Knoblauch und altem Parmesan ist nichts mehr darin. Ich mache ein wütendes Geräusch, gehe zurück ins Arbeitszimmer und versuche, mich wieder auf die Arbeit zu konzentrieren. Ich stehe wieder auf und sehe noch einmal in den Kühlschrank. Ich trinke ein großes Glas Wasser. Ich könnte sterben vor Hunger. Ich würde morden für eine Scheibe Brot mit Butter und Schinken. Ich bin kurz davor, mirdiesen verdammten sandigen Parmesan zwischen die Kiefer zu schieben. Mein Körper will nichts anderes mehr als zum Bäcker gehen, meine Lippen formen bereits die Worte »Himbeer-Sahne« und »Quarkschnitte«, aber irgendwie schaffe ich es, meine Beine dazu zu zwingen, mich zurück an den Schreibtisch zu bringen. Ich müsste einen Text über ein revitalisierendes Aktivserum schreiben, aber über ein paar Zeilen komme ich nicht hinaus.
    Menschen brauchen Zuneigung. Sie sehnen sich nach Hingabe, streben nach Balance. Dieser Gedanke inspirierte uns zu einem Serum aus Teufelskralle und Taigawurzel, das auf der Haut einen feuchtigkeitsspendenden und zugleich revitalisierenden Film hinterlässt …
    Balance. Zuneigung. Das Einzige, wonach ich mich sehne, ist eine Scheibe Brot! Ich stürze in die Küche und trinke noch ein Glas Wasser. Dann mache ich das, was ich immer mache, wenn ich mich vor der Arbeit drücke. Ich klicke mich durch meine Bookmarks. Fast alles sind Blogs, in denen es um nichts anderes als ums Essen geht. Normalerweise inspiriere ich mich damit, wenn ich nicht genau weiß, was ich am Abend kochen will. Ich schwelge dann genüsslich in den Rezepten, lese die Texte dazu, sehe mir Fotos an. Heute klicke ich mich durch die Links wie eine Getriebene. Ich sehe Rinderragout. Risotto

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