Heiß wie der Steppenwind
Zweig sibirischer Lärche hinein. Dann wandte sie sich um, sah Dunja lange an, es war das erstemal, daß sie sich gegenüberstanden, ging weiter zu Igor, nahm seinen Kopf zwischen ihre Hände, küßte ihn auf die Stirn und verließ stumm den Friedhof.
»Hol sie zurück …«, sagte Dunja leise. »Lad sie zum Totenmahl ein. Wir werden uns nicht gegenseitig zerfleischen …«
Aber Marianka war schon wieder verschwunden.
»Ein wahres Teufelsweib!« rief Sadowjew. »Igorenka, du bist ein wahrer Held, daß du ihr widerstanden hast.«
»Sie hat ein Herz.« Pjetkin trat noch einmal an das Grab seines Vaters. »Sie hat ein Herz. Wer hätte das gedacht?«
Nach vier Tagen kehrten sie alle nach Issakowa zurück, mit einem Flugzeug bis Chabarowsk.
Am fünften Tag nach der Beerdigung traf der erwartete Brief aus Moskau ein.
»Wir freuen uns, Sie zum Leitenden Chirurgen des Krankenhauses von Chelinograd zu ernennen. Sie haben Ihre Stelle innerhalb der nächsten vierzehn Tage anzutreten. Wir wünschen Ihnen viel Erfolg, Genosse …«
Pjetkin schlug die Karte Rußlands auf und suchte. Sadowjew und Dunja schauten ihm über die Schulter. Anna, das Mütterchen, weinte wieder.
»Wo ist es, dieses Saunest Chelinograd?« wollte Sadowjew wissen.
»Hier.« Pjetkin legte den Finger auf einen Fleck. »In Kasakstan. Mitten in der Steppe. Ich werde mit den Schakalen leben …«
Sadowjew grunzte tief, nahm die Karte vom Tisch, zerriß sie und warf sie ins Feuer.
S ECHZEHNTES K APITEL
Nach einer Woche Urlaub, den sie sich für die Beerdigung und die Regelung der Hinterlassenschaft Anton Wassiljewitschs genommen hatten, kehrten Pjetkin und Godunow ins Lager Sergejewka zurück. Sadowjew fuhr sie mit seinem Wägelchen wieder bis an den Waldweg, zögerte dort, hielt die Pferdchen an, quetschte seinen Schnauzbart durch die Finger und beschloß, seinen Widerwillen zu durchbrechen. »Was soll's!« sagte er abfällig. »Auch Blinde verprügelt man.« Er fuhr also weiter, aber nur bis auf Sichtweite der ersten Sperre. Dort stiegen Igor und Marko aus, umarmten Sadowjew und gingen zu Fuß weiter.
Im Lager hatte sich auch etwas geändert … Pjetkin erfuhr es bereits hinter dem Tor. Die Abkommandierten des Innendienstes, die wie immer die Lagergassen fegten und den Todesstreifen harkten, blickten nicht wie sonst auf, wenn der Arzt an ihnen vorbeikam, und grüßten ihn, sondern beschäftigten sich intensiver mit ihrer Arbeit als zuvor. Dafür waren die Aufseher frech, grinsten Pjetkin an, steckten provokativ die Hände in die Taschen und pfiffen laut die Internationale. Der Obmann von Baracke VI, ein wüster Bursche mit einem von Messerstichen vernarbten Gesicht, ein gefürchteter Straßenräuber, der im Lager nur mit einem kleinen Hammer herumlief und ihn mit den Worten »Flieg, Mensch flieg!« auf die Rücken der anderen Häftlinge niedersausen ließ, lümmelte sich an die Barackenwand, nestelte an der Hose, als Pjetkin an ihm vorbeiging, rülpste laut und entblößte sein Geschlecht.
Pjetkin schwieg. Marko blieb stehen, sah kopfschüttelnd hin und sagte: »Du hast recht, Genosse. Er ist abscheulich. Morgen früh um acht im Krankenhaus! Wir amputieren ihn dir.« Dann bückte er sich schnell, griff eine Handvoll Sand und warf sie gegen den entblößten Unterleib. Nur um Millimeter verfehlte der ihm nachgeschleuderte Hammer seinen Kopf.
»Sie wissen es bereits«, sagte Marko, als er Pjetkin, der weitergegangen war, eingeholt hatte. »Es hat sich herumgesprochen, daß Sie versetzt worden sind. Jetzt kommen die Ratten wieder aus ihren Löchern und tanzen im Kornfeld. Ich werde Russlan an die Wand werfen.«
Die Ahnung Markos bewahrheitete sich. Von Chabarowsk war die Nachricht von Pjetkins Beförderung zum Chefchirurgen und seine Versetzung nach Kasakstan zu Marianka Dussowa gelangt. Diese hatte getobt, den Brief mit ihren Stiefeln getreten und Russlan, der sie etwas fragen wollte, einen Stuhl an den Kopf geworfen. Einer Feuersbrunst gleich durchlief die Nachricht darauf das Lager, dafür sorgte Russlan. Der geheime Rat der Blatnyje, der die Ermordung Pjetkins bei nächster Gelegenheit beschlossen hatte, trat zusammen und strich diesen Punkt aus seinem Aktionsprogramm. Aber man beschloß, sofort nach der Abreise des ›Reformators‹, wie man Pjetkin nannte, die alten Zustände im Lager wiederherzustellen: Die Herrschaft der Kriminellen über die Politischen. Die Kontriks sahen diese Entwicklung voraus … sie duckten sich wieder, gingen Pjetkin
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