Heiß
»Kommen wir zu Ihrem Einsatz in Pakistan. Wenn Ihnen Major Llewellyn noch nicht gedankt hat, dann lassen Sie mich das machen, auch im Namen von Chief Inspector Salam. Und glauben Sie mir bitte, ich weiß in der Zwischenzeit sehr gut, wovon ich spreche.« Er nahm einen Schluck Sherry. »Was nun Ihre Zugehörigkeit zu einem Dienst oder Ihre Geheimhaltungsstufe betrifft, so kenne ich leider zu viele, die aufgrund ihrer Position eine höhere haben und dabei strohdumm sind. In diesem Raum sind die Regeln andere.«
Er drehte sich zu Finch um, der zum ersten Mal die Härte und Unerbittlichkeit spürte, die in dem alten Geheimdienstchef steckte.
»Hier, Mr. Finch, gelten nur meine Regeln. Deshalb würde es mich freuen, wenn Sie hierbleiben und uns Gesellschaft leisten. So attraktiv die Köstlichkeiten in der Küche auch sind, wie man sieht.« Er klopfte sich seufzend auf den Bauch. »So, und jetzt kommen wir zum Ernst der Lage. Chief Salam, wir haben noch …«, er blickte auf die Uhr, »… vierzehn Minuten bis zum Lunch und dank Mr. Finch nun den Luxus, Ihren Bericht aus erster Hand zu erhalten. Ich bin äußerst gespannt auf Ihre Informationen.«
9 Die große Täuschung
Merianstraße, Kronberg im Taunus/Deutschland
Professor Siegberth hatte die Glaspyramide vom Tisch genommen und war auf den Balkon getreten. Vorsichtig hielt sie den perfekten geometrischen Körper gegen das Licht, drehte ihn und stellte ihn schließlich auf einen der Sandsteinpfeiler, der die schmiedeeisernen Balkongitter hielt. Die Pyramide funkelte im Licht der Sonne, warf helle Streifen auf den rauen Stein.
Die Wissenschaftlerin betrachtete das Lichtspiel nachdenklich.
Das Glas war klar, ohne Trübung oder Einschlüsse. Die scharfen Kanten zeugten davon, dass jemand den Körper aus einem größeren Stück Glas geschliffen hatte. Außerdem waren unter dem Vergrößerungsglas leichte Riefen auf den Seitenflächen zu erkennen gewesen. Die Maße waren also Absicht. Es handelte sich nicht einfach um eine x-beliebige Pyramide.
Wer immer sie gefertigt hatte, er wollte sie genau in dieser Form.
Also hatte Siegberth als Erstes die Pyramide vermessen. Sorgfältig und sicherheitshalber zweimal. Es handelte sich um eine sogenannte regelmäßige Pyramide, mit einer quadratischen Grundfläche von 1 , 5 mal 1 , 5 Zentimeter. Die Höhe betrug 3 , 4 Zentimeter, und die Abweichungen waren minimal und fertigungsbedingt, lagen im Bereich der Zehntelmillimeter.
Bedeutungslos.
Nachdem der Mitarbeiter von Konstantinos ihr wie angekündigt ein Mikroskop gebracht und aufgestellt hatte, war Siegberth an die genaue Untersuchung der Oberflächen gegangen. Sie hatte sich Zeit gelassen, immer wieder die Tiefenschärfe verändert, die Pyramide gedreht und gewendet. Nach einer halben Stunde war sie sich sicher: Weder an der Grundfläche, noch an den Seiten waren irgendwelche Zeichen eingraviert oder -geätzt. Es handelte sich um eine makellose Glaspyramide ohne jede Aufschrift. Wenn jemand tatsächlich einen Hinweis versteckt haben sollte, dann musste er ihn anders codiert haben.
Nur wie?
Siegberth erinnerte sich an Konstantinos‘ Worte: »Die Pyramide entstand in Deutschland in den letzten Monaten des Krieges, genauer gesagt in Berlin. Da gab es keine exotischen Möglichkeiten der Materialwahl mehr. Ich bin so gut wie sicher, dass es sich um ganz normales Glas und eine Metalllegierung handelt, die damals in der Rüstungsproduktion üblich war.«
Die Wissenschaftlerin war geneigt ihm zuzustimmen, was die Materialien betraf. Nach einigen simplen Brechungsindex-Versuchen war auch sie zur Überzeugung gekommen, dass es sich um Glas handelte, allerdings nicht um irgendein Glas. Ein Anruf bei einem ihrer Bekannten am Max-Planck-Institut hatte eine interessante Facette ins Spiel gebracht. »Kein Einschluss?«, hatte der Fachmann nachgefragt. »Selbst unter dem Mikroskop nicht? Dann kann es sich nur um optisches Glas handeln, das extra für die Herstellung von Linsen gefertigt wurde.«
Berlin im letzten Kriegsjahr, wenn man Konstantinos glauben konnte, überlegte Siegberth. Welches Unternehmen hatte in der Hauptstadt noch ein Lager von Linsen und Gläsern gehabt oder diese Teile produziert? War die Pyramide etwa aus dem Teil eines Feldstechers oder einer Zieleinrichtung entstanden? Und wer hatte sie geschliffen? Sie tröstete sich damit, dass sie in wenigen Stunden, nach dem Gespräch mit ihrem Auftraggeber, mehr wissen würde.
Sie nahm die Pyramide von der Balustrade
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