Heiß
drehte sich Salam wortlos um und stieg mit unbewegter Miene die Treppen hinunter.
3 . September 1939 , Hotel Cecil, Alexandria/Ägypten
Frank Majors riss das Telegramm auf, das ihm der Hotelboy soeben ins Zimmer gebracht hatte. Es war kurz nach sieben, und der Colonel blinzelte verschlafen, bevor er nach seiner Brille zu suchen begann. Seit nunmehr drei Jahren unterhielt der britische Geheimdienst eine Suite in dem luxuriösen Hotel, und der Colonel hatte beschlossen, die angrenzenden Zimmer ebenfalls auf Dauer zu buchen. So wohnten er und Miranda Taylor, die vor mehr als einem Jahr seine Freundin geworden war, mit einem atemberaubenden Ausblick aufs Mittelmeer auf Kosten der britischen Steuerzahler.
Seine Aufgaben als Head of Service in Ägypten hatten Majors bisher voll in Anspruch genommen. Was anfangs wie die Hilfestellung einer großzügigen Kolonialmacht an die minderbemittelten ehemaligen Untertanen aussah, war nach den sich überschlagenden Ereignissen in Europa und der Zuspitzung der internationalen Lage zu einem mitunter nervenaufreibenden Wettlauf um die geheimdienstlichen Reviere in Nordafrika geworden. Die beängstigend rasch steigende Zahl deutscher Agenten in den französisch kontrollierten Nachbarländern, ihre Infiltration nach Ägypten und die hinter vorgehaltener Hand kolportierte Begeisterung des jungen Königs Faruq für Hitler und dessen unverfrorene Expansionspläne hatten die frühere gemütliche Kolonialatmosphäre mit Clubnachmittagen und Fünf-Uhr-Tees zu einer verklärten Erinnerung werden lassen.
Auf die anfängliche Begeisterung, nun endlich auf den Spuren von Lawrence unterwegs zu sein und in Ruhe dessen Hinweisen folgen zu können, folgte die Frustration. Majors hatte es unzählige Male bereut, nicht in England geblieben zu sein. Und seinem Ziel, endlich mit der Suche nach dem berühmten Grab zu beginnen, war er keinen Schritt näher gekommen.
Während der Colonel in den letzten drei Jahren auf der einen Seite wie geplant den Ägyptern geholfen hatte, ihren Geheimdienst auszubauen, war auf der anderen eine stetig steigende Anzahl an Aufträgen aus London hinzugekommen, der er mit einem unter chronischem Personalmangel leidenden Büro kaum Herr wurde. Hatte Majors 1936 noch fest daran geglaubt, er würde jede Menge Zeit für seine eigenen Nachforschungen zur Verfügung haben, würde Reisen unternehmen und vom Schreibtischtäter zum wahren Entdecker werden, so hatten ihn der Secret Service, Special Branch und die Tagespolitik eines Besseren belehrt.
Nordafrika war auf dem besten Weg, das Aufmarschgebiet von morgen zu werden und er, Majors, war mittendrin.
Ohne Miranda wäre er zwischen Kairo und Alexandria bereits vor langer Zeit mit wehenden Fahnen untergegangen. Die junge Frau hatte sich als wahres Organisationstalent, vertrauenswürdige Mitarbeiterin und umsichtige Büroleiterin in Personalunion erwiesen. Sie jonglierte mit Terminen, Mitarbeitern und lokalen Informanten, hielt den Kontakt nach London und zu den ägyptischen Stellen, koordinierte die Meldungen aus allen geheimdienstlichen Kanälen, bevor sie dem Colonel die Mappen vorlegte.
Sie hat sich ihren freien Sonntag heute redlich verdient, dachte Majors. Wie lange haben wir keinen Urlaub mehr gemacht? Haben wir überhaupt schon gemeinsam Urlaub gemacht? Endlich fand er seine Brille auf dem Nachtkästchen und setzte sie auf. Verdammte Kurzsichtigkeit.
Das Telegramm war kurz und verschlüsselt. Majors hatte nichts anderes erwartet.
»Ist was, Schatz?«, murmelte die im Bett liegende Miranda mit geschlossenen Augen und zog die dünne Decke über ihre Schultern. Ein kühler Morgenwind wehte vom Mittelmeer durch die offenen Fenster und blähte die Vorhänge auf.
»Schlaf ruhig, nichts Wichtiges«, gab Majors zurück und ging leise in sein Büro nach nebenan. Er schloss vorsichtig die Tür und setzte sich an seinen Schreibtisch, holte die Dechiffrierungstabelle aus der Schublade und machte sich an die Arbeit. Fünf Minuten später hielt er den Klartext in Händen: » DOW TODAY IN BERLIN . CODE RED . MOVE TO FWA DAKAR IMM . NEW HOS ARRIVING CAIRO WED .«
»Scheiße«, flüsterte Majors und ließ den Stift fallen. Dann ergriff er das Telegramm, ließ sein Feuerzeug aufspringen und hielt die Flamme an das Papier. Als die letzten Reste im Aschenbecher verbrannt waren, stand er auf und trat ans Fenster. Das Meer war dunkelblau, nur auf den Kämmen der Wellen bildeten sich die ersten Schaumkronen im auffrischenden
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