Heiße Hüpfer
gar nicht schlecht.
Es gibt einige Leute, ohne die die Geschichte besser zurechtkäme. Hast
du eine Ahnung, wie man die richtigen Ameisen findet?«
»Nein, Herr!« Ponder versuchte verzweifelt, im Gehirn des Erzkanzlers
einen Spalt zu finden, um die Brechstange des Verstehens
hineinzustoßen. Für einige Sekunden glaubte er, einen solchen
Ansatzpunkt gefunden zu haben. »Es ist nämlich so… Die Ameise, auf
die du trittst, könnte deine eigene sein, Herr!«
»Du meinst… wenn ich auf eine Ameise trete, könnte das die
Geschichte so verändern, daß ich nie zur Welt komme?«
»Ja! Genau richtig! Darauf läuft es hinaus, Herr!«
»Aber wie funktioniert die Sache?« Ridcully wirkte verwirrt. »Ich
stamme nicht von Ameisen ab.«
»Nun…« Ponder spürte, wie die Fluten des Nichtbegreifens um ihn
herum anschwol en, aber er weigerte sich zu ertrinken. »Nun… äh…
angenommen, die Ameise biß das Pferd eines Mannes, und er fiel, und er
hatte den Auftrag, eine sehr wichtige Nachricht zu überbringen, und weil
er diesen Auftrag nicht erfül en konnte, kam es zu einer schrecklichen
Schlacht, bei der einer deiner Vorfahren getötet wurde, nein, ich meine,
bei der er nicht getötet wurde…«
»Wie kam die Ameise übers Meer?« fragte Ridcully.
»Viel eicht auf einem Stück Treibholz«, antwortete der Dekan sofort.
»Es ist erstaunlich, wie viele Geschöpfe auf irgendwelchen
Treibholzstücken ferne Inseln erreichen können: Insekten, Eidechsen,
sogar kleine Säugetiere.«
»Und dann krabbelte die Ameise über den Strand zum Schlachtfeld?«
fragte Ridcully.
»Oder am Bein eines Vogels«, sagte der Dekan. »Hab’s in einem Buch
gelesen. Selbst Fischeier werden am Bein eines Vogels von einem
Tümpel zum nächsten transportiert.«
»Eine ziemlich entschlossene Ameise.« Ridcul y strich sich
nachdenklich den Bart. »Aber ich muß zugeben, daß schon seltsamere
Dinge passiert sind.«
»Die geschehen praktisch jeden Tag«, pflichtete ihm der Oberste Hirte
bei.
Ponder strahlte. Sie hatten erfolgreich die Klippen einer recht
komplexen Metapher umsegelt.
»Nur eins verstehe ich nicht ganz«, sagte Ridcully. »Wer tritt auf die Ameise?«
»Was?«
»Ist doch ganz klar«, fuhr der Erzkanzler fort. »Wenn ich auf die
Ameise trete, so existiere ich nicht. Aber wenn ich nicht existiere, kann
ich gar nicht auf die Ameise treten, und deshalb müßte sie am Leben
bleiben, oder?« Er klopfte Ponder mit einem gutmütigen Zeigefinger auf
die Brust. »Du bist nicht dumm, Stibbons, aber manchmal frage ich
mich, ob du wirklich logisch an diese Sache herangehst. Geschehene
Dinge bleiben geschehen. Ich meine, so verlangt es die Logik. Sei jetzt
nicht niedergeschlagen«, sagte er und verwechselte – vermutlich in aller
Unschuld – die hilflose Wut in Ponders Gesicht mit Verlegenheit.
»Wenn du bei diesen komplizierten Sachen einmal nicht weiterkommst –
meine Tür steht immer offen.* Immerhin bin ich der Erzkanzler.«
»Entschuldigung, können wir nun auf Ameisen treten oder nicht?«
fragte der Oberste Hirte mürrisch.
»Wenn du möchtest.« Ridcul y fühlte sich sehr großzügig. »Wenn man’s
genau nimmt, hängt die Geschichte praktisch davon ab, daß wir
zufäl igerweise auf Ameisen treten. Wir sind bereits auf die Ameisen
getreten, auf die wir treten, und wenn wir das wiederholen, so passiert es zum ersten Mal, denn wir treten jetzt auf die Ameisen, weil wir in der
* Es gibt einen bestimmten Typ von Manager, dessen Motto »Meine Tür steht
immer offen« lautet, und man sollte sich eher mit dem eigenen
Bewerbungsschreiben erschlagen, als für ihn zu arbeiten. Ridcul y hingegen meinte folgendes: »Meine Tür steht immer offen, weil ich dann mit der
Armbrust durch den Flur und auf das Ziel dicht über dem Schreibtisch des
Quästors schießen kann, wenn ich mich langweile.«
Vergangenheit auf sie getreten sind, wobei es zu berücksichtigen gilt, daß die Vergangenheit derzeit unsere Gegenwart ist.«
»Tatsächlich?«
»Ja.«
»Hätten wir deshalb Stiefel mit dickeren Sohlen anziehen sol en?«
fragte der Quästor.
»So ist es richtig, Quästor – nur nicht nachlassen.«
Ridcully streckte sich und gähnte. »Nun, das wär’s wohl. Wir sollten
jetzt schlafen. Es war ein ziemlich langer Tag.«
Auch jemand anders bemühte sich, nicht nachzulassen.
Als die Zauberer schliefen, entstand mattes Licht über ihnen, wie von
brennendem Sumpfgas.
Er war ein al gegenwärtiger Gott,
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