Heißer Schlaf
zeichnete das Muster seiner Gehirnströme auf. Außerhalb seines Gesichtsfelds leuchtete ein bernsteinfarbenes Licht auf, und Jazz sagte: »Jason Worthing, XX56N, Schlaf OK.« Das war der Code; aber er fügte hinzu:
»Gute Nacht.«
Der Deckel schloß sich über ihm, und er beobachtete, wie an den Sargrändern die Versiegelungsmasse hochquoll und den Raum luftdicht abschloß. Dann blitzte ein grünes Licht auf, und aus dem Schlafhelm drang ihm eine Nadel in die Kopfhaut, und das Somec floß ihm heiß in die Adern.
Das Somec brannte, das Somec war Qual, das Somec fühlte sich an wie der Tod – oder schlimmer, wie die Angst vor dem Tod. Jason geriet in Panik. Er fürchtete, daß irgend etwas auf schreckliche Weise nicht stimmte, daß das Somec ihn von innen heraus verbrannte, ihn zerstörte.
Er wußte nicht, daß es bei Somec immer so war; es war immer nach der Aufzeichnung geschehen, und er hatte keine Erinnerung daran.
Aber nach einer fünfzehn Sekunden dauernden Ewigkeit hatte das Somec sein Gehirn geleert, und Jason schlief.
Sobald er bewußtlos war, zündete lautlos der riesige Antrieb für den Sternenflug, und die gewaltige Beschleunigung trat ein. Jasons Sarg und alle Särge in der Passagierabteilung füllten sich mit einem klaren Gel. Als die Beschleunigung 2,7 g erreichte, erstarrte das Gel und bildete eine feste Stützstruktur, damit die Körper der Schläfer auch unter einer Belastung von drei, vier oder fünf g keinen Schaden nehmen konnten.
Und unerbittlich zog das Schiff seine Bahn durch den Raum, mit seiner Fracht von dreihundertvierunddreißig lebenden Leichen, die alle, wenn sie es auch nicht wußten, von einer so brennenden Qual heimgesucht wurden, daß, mit ihr verglichen, selbst das Leben erträglich scheinen mochte.
6
Manche Revolutionen ereignen sich über Nacht. Andere brauchen Jahre der Vorbereitung. Aber keine schwelte so lange wie die Somec-Revolution. Der erste Schritt in dieser Revolution war die Übernahme der offiziellen Kontrollorgane der kaiserlichen Macht durch Abner Doon. Mit den Streitkräften und der Geheimpolizei hinter sich, entmachtete er das Kabinett und übernahm despotisch die Kontrolle aller Institutionen des Reiches. Zuerst mutete es wie ein Staatsstreich an – einer, der lange fällig war. Aber Doon war geschickt.
Seine Tyrannei übte zuerst in den Kolonien Unterdrückung aus. Hätte man ihn in Capitol von Anfang an gehaßt, hätte die Bevölkerung ihn vielleicht abgesetzt und einen Mann an seine Stelle treten lassen, der einen weicheren Kurs gesteuert hätte. Die Somec-Revolution hätte vielleicht nie stattgefunden. So aber gab es auf einem Planeten nach dem anderen kleinere Revolutionen, und zwar in dem Maße, wie das Somec-Privileg nach Gutdünken zuerkannt und von korrupten Beamten verwaltet wurde. Auf Doons Anweisung wurde absolut Unwürdigen Somec verabfolgt, während es denen, die lange daran gewöhnt waren, abrupt entzogen wurde. In allen Fällen nahm die Revolution nicht von den Massen ihren Ausgang, die nie auf Somec hatten hoffen dürfen, sondern von den erwachten Schläfern, deren Todesangst irrational und deren Haß auf jene, die ihnen die Unsterblichkeit gestohlen hatten, unversöhnlich war.
Jede Rebellion wurde so grausam und blutig wie möglich niedergeschlagen – und dennoch wurden jedes Mal einige der Schlüsselfiguren am Leben gelassen und durften, großmütig begnadigt, als »Freunde des Staates« das Gefängnis verlassen. Diese freigelassenen Rebellen legten unweigerlich die Saat für weitere Revolten.
Neben ihrer ungeheuer langen Anlaufzeit und ihren verheerenden Nachwirkungen für die Menschheit hatte die Somec-Revolutionen einen weiteren bemerkenswerten Aspekt: Sie ist wahrscheinlich die einzige Revolution, die von Anfang an von dem Tyrannen in allen Einzelheiten geplant war, gegen den die Rebellen revoltierten. Im Zusammenhang mit Abner Doons Verhaltensweise sind viele Theorien v orgebracht worden, die Prüfung aller seit jüngster Zeit zugänglichen Dokumente legt jedoch folgenden Schluß nahe: Aus irgendeinem Grunde wollte Abner Doon erreichen, daß Somec in den Angelegenheiten der Menschheit außer Betracht bleiben sollte; vielleicht strebte er den entsetzlichen Zusammenbruch aller Technologien an, der folgen sollte; vielleicht wünschte er, obwohl es bezweifelt werden darf, das Ende der interstellaren Reisen, die seit anderthalb Jahrtausenden durchgeführt wurden; und einige sind der Ansicht, daß Doon die Vielfalt innerhalb der
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